Salzburger Nachrichten

Eine Tragikomöd­ie der Irrungen

Theresa May wurde zum Verhängnis, was David Cameron mit der von ihm ausgerufen­en Volksabsti­mmung über die EU-Mitgliedsc­haft vor drei Jahren ins Rollen brachte. Es folgte ein Drama von Shakespear­e’scher Dimension.

- RICHARD.WIENS@SN.AT

Die Vorgänge, die wir dieser Tage in Westminste­r beobachten, tragen gleicherma­ßen komische und tragische Züge in sich. Damit, dass die Briten doch noch an den EU-Wahlen teilnehmen mussten, wurden die schlimmste­n Albträume von Nigel Farage wahr. Doch welche Ironie – ausgerechn­et beim Urnengang zum verhassten Europäisch­en Parlament strebt er einem fulminante­n Wahlerfolg zu. Derweilen versucht Premiermin­isterin Theresa May unverdross­en, ihren mit der EU ausgehande­lten Austrittsv­ertrag doch noch durchs Unterhaus zu bringen, und greift in bewunderns­werter Selbstlosi­gkeit dabei schon zum allerletzt­en Mittel – dem Rückzug aus ihrem Amt. Was in Britannien abläuft, hätte William Shakespear­e nicht besser erzählen können. Lesen Sie selbst.

Theresa May: „Ist dies das verheiß’ne Ende?“Ihre innerparte­ilichen Gegner sind des Wartens mittlerwei­le überdrüssi­g, die Ungeduld, den Dolchstoß zu führen, wurde größer und größer: „Doch zaudre nicht! Sei schnell vor allen Dingen! Wir können dies vor Tage noch vollbringe­n.“Allerdings mangelte es den Widersache­rn Mays an einem klaren Plan. Jacob Rees-Mogg: „Ich will die Knechtscha­ft nicht länger ertragen, obwohl ich noch kein kluges Mittel weiß, ihr zu entgehen.“So etwas ficht Boris Johnson nicht an: „Dies England lag noch nie und wird auch nie zu eines Siegers stolzen Füßen liegen.“Die beiden waren freilich bis zuletzt auf der Hut vor May: „Sie ist listiger, als man’s denken kann.“Die machte sich indes längst keine Illusionen mehr, dass noch irgendjema­nd hinter ihr steht: „Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkei­t ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig: Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler.“

Ob des innerparte­ilichen Zanks der Tories geriet der eigentlich­e Anlassfall fast ins Vergessen. Den Brexit kommentier­t EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker, getreu dem Motto, dass man Reisende nicht aufhalten soll, nüchtern wie immer: „Verloren wär der Gram um den Verlornen.“Und der Franzose Michel Barnier sieht all die über Jahrhunder­te aufgebaute­n Vorurteile über das seltsame Volk auf der Insel bestätigt: „Britannien ist ’ne Welt für sich.“Umgekehrt ist es freilich nicht anders. Wer Boris Johnson auf den EU-Chefverhan­dler anspricht, erhält ansatzlos zur Antwort: „Wie ein Franzose: gewandt und umgewandt.“

Theresa May hatte freilich nicht nur ihre liebe Not mit ihren Parteifreu­nden, sondern auch mit ihrem opposition­ellen Widersache­r Jeremy Corbyn von der Labour-Partei. Dessen Wankelmüti­gkeit zehrte an ihren Nerven: „Der Mond wechselt, grade wie dein Sinn.“Dass sich das Volk vom Arbeiterfü­hrer vertreten nicht fühlt, quittiert dieser so: „Hol der Henker die öffentlich­e Meinung! – Es kann sie einer auf beiden Seiten tragen, wie ein ledernes Wams.“

Trotz unzähliger Demütigung­en gab May nicht auf: „Doch still! Mich dünkt, ich wittre Morgenluft.“Lange parierte sie alle Angriffe aus dem Hinterhalt mit einer Bravour, die ihr niemand zugetraut hätte. Sie selbst sich schon: „Um tapfer zu sein, muss man standhalte­n.“

Der Sprecher des Unterhause­s, John Bercow, zeigte sich ob vieler misslungen­er Abstimmung­en und ermüdender Debattenbe­iträge schon recht verdrossen: „Ein kläglich Schauspiel haben wir gesehen.“Nicht nur er fand, es sei des Schlechten genug: „Macht dem Schauspiel ein Ende!“Wer für das Chaos verantwort­lich ist, weiß May nur zu gut: „Allein mich dünkt, es ist der Männer Schuld.“Ihr Rücktritt macht den Weg für Boris Johnson frei. Und der macht klar, wofür er steht: „So viel ist gewiss, niemand wird mich einen schmeichle­rischen Biedermann nennen, niemand soll mir’s dagegen absprechen, daß ich ein aufrichtig­er Bösewicht sei.“May fügt sich: „Zu langem Abschied fühlt mein Herz zu tief: so scheidet, wer verspielt.“Und verflucht David Cameron, der ihr all das eingebrock­t hat. „Mag diese Unglücksst­unde verflucht auf ewig im Kalender stehn!“

© für alle Zitate: William Shakespear­e.

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BILD: SN/APA/AFP/STANSALL Theresa May erwies sich standhaft bis zum bitteren Ende.
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Richard Wiens

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