Eine Tragikomödie der Irrungen
Theresa May wurde zum Verhängnis, was David Cameron mit der von ihm ausgerufenen Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft vor drei Jahren ins Rollen brachte. Es folgte ein Drama von Shakespeare’scher Dimension.
Die Vorgänge, die wir dieser Tage in Westminster beobachten, tragen gleichermaßen komische und tragische Züge in sich. Damit, dass die Briten doch noch an den EU-Wahlen teilnehmen mussten, wurden die schlimmsten Albträume von Nigel Farage wahr. Doch welche Ironie – ausgerechnet beim Urnengang zum verhassten Europäischen Parlament strebt er einem fulminanten Wahlerfolg zu. Derweilen versucht Premierministerin Theresa May unverdrossen, ihren mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag doch noch durchs Unterhaus zu bringen, und greift in bewundernswerter Selbstlosigkeit dabei schon zum allerletzten Mittel – dem Rückzug aus ihrem Amt. Was in Britannien abläuft, hätte William Shakespeare nicht besser erzählen können. Lesen Sie selbst.
Theresa May: „Ist dies das verheiß’ne Ende?“Ihre innerparteilichen Gegner sind des Wartens mittlerweile überdrüssig, die Ungeduld, den Dolchstoß zu führen, wurde größer und größer: „Doch zaudre nicht! Sei schnell vor allen Dingen! Wir können dies vor Tage noch vollbringen.“Allerdings mangelte es den Widersachern Mays an einem klaren Plan. Jacob Rees-Mogg: „Ich will die Knechtschaft nicht länger ertragen, obwohl ich noch kein kluges Mittel weiß, ihr zu entgehen.“So etwas ficht Boris Johnson nicht an: „Dies England lag noch nie und wird auch nie zu eines Siegers stolzen Füßen liegen.“Die beiden waren freilich bis zuletzt auf der Hut vor May: „Sie ist listiger, als man’s denken kann.“Die machte sich indes längst keine Illusionen mehr, dass noch irgendjemand hinter ihr steht: „Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig: Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler.“
Ob des innerparteilichen Zanks der Tories geriet der eigentliche Anlassfall fast ins Vergessen. Den Brexit kommentiert EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, getreu dem Motto, dass man Reisende nicht aufhalten soll, nüchtern wie immer: „Verloren wär der Gram um den Verlornen.“Und der Franzose Michel Barnier sieht all die über Jahrhunderte aufgebauten Vorurteile über das seltsame Volk auf der Insel bestätigt: „Britannien ist ’ne Welt für sich.“Umgekehrt ist es freilich nicht anders. Wer Boris Johnson auf den EU-Chefverhandler anspricht, erhält ansatzlos zur Antwort: „Wie ein Franzose: gewandt und umgewandt.“
Theresa May hatte freilich nicht nur ihre liebe Not mit ihren Parteifreunden, sondern auch mit ihrem oppositionellen Widersacher Jeremy Corbyn von der Labour-Partei. Dessen Wankelmütigkeit zehrte an ihren Nerven: „Der Mond wechselt, grade wie dein Sinn.“Dass sich das Volk vom Arbeiterführer vertreten nicht fühlt, quittiert dieser so: „Hol der Henker die öffentliche Meinung! – Es kann sie einer auf beiden Seiten tragen, wie ein ledernes Wams.“
Trotz unzähliger Demütigungen gab May nicht auf: „Doch still! Mich dünkt, ich wittre Morgenluft.“Lange parierte sie alle Angriffe aus dem Hinterhalt mit einer Bravour, die ihr niemand zugetraut hätte. Sie selbst sich schon: „Um tapfer zu sein, muss man standhalten.“
Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, zeigte sich ob vieler misslungener Abstimmungen und ermüdender Debattenbeiträge schon recht verdrossen: „Ein kläglich Schauspiel haben wir gesehen.“Nicht nur er fand, es sei des Schlechten genug: „Macht dem Schauspiel ein Ende!“Wer für das Chaos verantwortlich ist, weiß May nur zu gut: „Allein mich dünkt, es ist der Männer Schuld.“Ihr Rücktritt macht den Weg für Boris Johnson frei. Und der macht klar, wofür er steht: „So viel ist gewiss, niemand wird mich einen schmeichlerischen Biedermann nennen, niemand soll mir’s dagegen absprechen, daß ich ein aufrichtiger Bösewicht sei.“May fügt sich: „Zu langem Abschied fühlt mein Herz zu tief: so scheidet, wer verspielt.“Und verflucht David Cameron, der ihr all das eingebrockt hat. „Mag diese Unglücksstunde verflucht auf ewig im Kalender stehn!“
© für alle Zitate: William Shakespeare.