Von Nachttöpfen und Eintagsfliegen
Minister, das ist trotz des kleinen Wortanfangs eine große Sache. In Sparta zum Beispiel waren die Minister die Einzigen, die nicht vor den Königen aufstehen mussten. Und nach dem obersten Minister, sozusagen dem Regierungschef, wurde ehrenhalber das laufende Jahr benannt. Wäre Österreich Sparta, würden wir also im Jahre Kurz leben.
Es gibt freilich auch Schattenseiten des Minister-Daseins. Sie erlebte der Graf von Olivares, der Minister des spanischen Königs Philipp IV. Wenn es zwischen den beiden zum Streit kam, was angeblich nicht selten der Fall war, setzte der ansonsten so mächtige Minister eine demonstrative Demutsgeste: Er küsste den Nachttopf seines Herrn und zog sich dann still zurück.
In diesem Spannungsfeld zwischen höchster Ehre und tiefster Demütigung (heute allerdings gemildert durch die Erfindung der Wasserspülung) bewegt sich ein Minister. Dieses Spannungsfeld werden gedanklich auch die vier Personen durchmessen haben, die in dieser Woche die vakanten Ministerämter angeboten bekommen haben.
Einerseits werden sie von einem Jahr Hackl, Ratz, Pöltner oder Luif geträumt haben. Andererseits werden sie nachgegrübelt haben, wie sie ihren obersten Chef – den Nationalrat – besänftigen könnten, der ja mit dem Gedanken an einen Misstrauensantrag gegen die umgebildete (Betonung auf m) Regierung spielt (Betonung auf spielt).
Wenn ihrem Kanzler Sebastian Kurz hier nicht rechtzeitig eine geeignete Demutsgeste gelingt, werden sich die genannten Neo-Minister in Ex-Minister verwandeln, so schnell können sie gar nicht schauen. Wenn sie Pech haben, werden sie schon in den nächsten Tagen vom Nationalrat abgewählt, waren also nicht einmal eine Woche im Amt.
Rekord wäre das allerdings keiner. In der Ersten Republik gab es einen unabhängigen Beamten, der sogar nur für einen Tag Bundeskanzler war. Walter Breisky hieß er, und amtierte vom 26. bis zum 27. Jänner 1922. Also genau genommen einen Tag und eine Nacht. Ob er in dieser Nacht geschlafen hat, ist nicht überliefert. Wenn ja, dann ist dies der seltene Fall eines Regierungschefs, der ein Drittel seiner Amtszeit verschlafen hat. (Obwohl: Später – und bis herauf in die jüngere Vergangenheit – sollte es Kanzler geben, die noch viel mehr von ihrer Amtszeit verschlafen haben, aber das nur nebenbei.)
Das wäre also das Negativbeispiel: Das Regierungsmitglied als Eintagsfliege.
Die Erste Republik hält aber auch ein positives Beispiel für die Karriere eines Unabhängigen in der Politik bereit: Der Polizeibeamte Johann Schober brachte es in der stürmischen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf nicht weniger als drei (wenn auch nie sehr lange) Kanzlerschaften und stand dabei immer Kabinetten vor, die zum Teil aus unabhängigen Beamten und Fachleuten bestanden. Unsere gegenwärtige Regierung ist also keineswegs Neuland.
Ob die neuen Minister mehr Breisky oder mehr Schober nachgeraten, wird die Entwicklung der nächsten Tage zeigen. Es kann sein, dass man sich die Namen Hackl, Luif, Pöltner und Ratz nicht lange wird merken müssen. Es kann aber auch sein, dass wir soeben den Beginn langjähriger Ministerschaften erleben. Denn es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die Parteiungebundenen ihre Ämter viel besser ausfüllen als die Parteigebundenen (was für ein verräterisches Wort!), und von der nächsten Regierung übernommen werden. Und wer weiß, vielleicht versteckt sich unter den vieren sogar eine neue Kanzlerin?
Nichts Genaues weiß man nicht. Regierungsumbildungen sind wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt. Und viel hängt jetzt davon ab, wie Sebastian Kurz das mit dem Nachttopf hinbekommt.