Aus dem Höllental
Kunst, die lebt – und stirbt. Eva Gruber ist Land-Art-Künstlerin, eine Kunst, die mit und in der Natur arbeitet. Ihre Arbeiten laden zum Staunen und Verweilen ein. Eine Auswahl hat sie in dem aktuell vorliegenden Bildband „Zeit am Fluss“veröffentlicht.
„Ich habe immer gewusst, dass hier im Höllental noch etwas Besonderes auf mich wartet.“Eva Gruber schaut auf den smaragdgrünen Fluss Schwarza, der sich durch das Tal schlängelt. In diese Landschaft zwischen den Bergen Rax und Schneeberg am Alpenostrand kommt die Künstlerin seit vielen Jahren. Hier arbeitet sie: Die Schotterbänke der Schwarza, das Wasser, Wald und Wiese sind ihre „Zeichenblätter“, in stundenlanger Einsamkeit und Beschaulichkeit verwirklicht sie sogenannte Land-ArtProjekte.
Ihre Materialien sind Steine, Blüten, Blätter, Äste, Zweige, Grashalme, Laub, Eis und Schnee. Die Natur ist aber nicht nur Material, sondern auch Akteur, denn die Bilder werden von ihr mitgestaltet und letztlich auch wieder zerstört. Manche in stundenlanger Arbeit gestaltete Bilder waren nach nur wenigen Augenblicken verschwunden, erzählt Gruber. Aber damit rechnet die Künstlerin, denn: „Wichtig sind mir Wandelbarkeit und Entfernbarkeit der Gestaltungen: Alles soll ,nur für jetzt‘ sein. Wenn Wind, Sonne, Regen, Meer oder Fluss das Gestaltete verändern oder löschen, freue ich mich – dann ist das Zeichenblatt wieder leer.“
Land Art ist eine Kunstform, die in den 60er-Jahren in den USA entstanden ist. Vereinfacht gesagt wird ein Raum in ein Kunstwerk umgewandelt. Dabei konzentrieren sich die Künstler nicht auf eine bestimmte Größe oder Methode, sondern arbeiten mit Räumen im kleinsten Maßstab bis zu ganzen Landstrichen. Es werden in der puren Form nur Naturmaterialien verwendet. Land Art ist minimalistisch und gesellschaftskritisch. Denn es werden keine Kunstwerke geschaffen, die in Galerien hängen oder Spekulationsobjekte werden, sondern die vergänglich sind, weder käuflich noch transportfähig. Es geht auch nicht darum, einfach Objekte in die Landschaft zu stellen und die Natur als Kulisse zu nutzen, sondern die Kunst ist es, aus Naturmaterialien im Einklang mit der Natur neue Landschaften zu kreieren. Dabei ergeben sich oftmals höchst überraschende, amüsante, augenzwinkernde, fragile, tief berührende Arrangements, wie man an den Fotografien von Eva Grubers Arbeiten sehen kann. Sie schafft Bilder, die bis zu 1500 Quadratmeter groß sind, Kiesgärten, Vögel aus Laub und Blüten, Steinzeichen, Laubmonster, Arrangements mit Schnee und Eis. Die Kunstwerke hält sie fotografisch fest: Entweder wartet sie auf das richtige Licht oder sie muss schnell auf den Auslöser drücken, um den Moment festzuhalten. Bereits in zwei Büchern hat sie ihre Land-Art-Projekte veröffentlicht: „Ein Jahr am Fluss“, 2008 und zehn Jahre später „Zeit am Fluss“. In dem aktuell vorliegenden Bildband fasst sie ihre Arbeiten der vergangenen elf Jahre zusammen. Es sind Beispiele aus bisher etwa 800 Projekten, zu allen Jahreszeiten. Begleitet werden die Bilder von Haiku der japanischen Großmeister.
Gruber verwendet etwa die rosa Blüten des Drüsigen Springkrauts, eigentlich ein Neophyt, der der einheimischen Pflanzenwelt an Flüssen ziemlich zusetzt. In Grubers Kunst sorgt er für wunderschöne rosa gefärbte Landschaftsdetails. Oder ein Schmetterling aus zarten Zweigen: Gruber ist für dieses Kunstwerk zeitig am Tag am Fluss, um „Rares zu zelebrieren“, das Eis am Fluss. „Ich zeichne einen Schmetterling auf dieses blanke Blatt und warte, bis die Sonne seinen Flügeln Glanz verleiht“, schildert die Künstlerin im Buch.
Oder im Frühling erscheint der Schotterbelag am Ufer so gleichmäßig, als sei er gerüttelt und gesiebt worden. Diese riesigen Flächen üben einen besonderen Sog auf Gruber aus. Sie zeichnet in sechs Wochen acht Stein-Bilder, drei davon mit rund 140 Metern Länge. „Sie zielen auf ein Spiel mit dem sich insbesondere im Frühling ständig ändernden Wasserstand.“Oftmals ist genaues Timing nötig, etwa im Winter, wenn Schnee und Eis in der Sonne dahinschmelzen und unterschiedliche Schneearten Flexibilität erfordern. Häufig setzt die Arbeit auch körperlich anstrengenden Einsatz voraus, wenn etwa die Künstlerin bei Minusgraden stundenlang am Wasser arbeitet. Dies tut sie am liebsten unbeobachtet, still, selbstvergessen. „Es gefällt mir, mit einer vorgefassten Idee oder ganz intuitiv gestalterisch auf die Umwelt zu reagieren. Dazu braucht es Einlässlichkeit, also das Sich-einlassen-Können auf die jeweiligen Bedingungen. Achtsamkeit nach innen und außen, Naturverbundenheit sowie Spontaneität, Kreativität und LoslassenKönnen. Ich halte keine politischen Reden, aber ich will auch Werte vermitteln: sorgsamer Umgang mit den Ressourcen, sich einlassen, Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit.“
Die Formensprache ist eine archaische, aber die Themen sind höchst aktuell: „Es geht um die Zeit, die uns heute zu fehlen scheint, und um die Natur, um deren Erhalt wir uns mehr denn je sorgen.“Ihr Anliegen als Künstlerin ist es, poetische Hommagen an die Natur zu schaffen. Daran wird Betrachtern ein achtungsvoller Umgang mit ihr vor Augen geführt. „Die Land Art, ihre Aussage, das Buch sind für mich eine ganz große Herzensangelegenheit“, so Gruber. Sie setzt sich auch als Gehende und Schreibende mit Natur und Landschaft kreativ auseinander und verfasst Bücher über den Jakobs- und Franziskusweg sowie über Wanderwege in den Wiener Hausbergen. „Ich reise gerne, aber das Höllental mit der Schwarza ist ein Stück Zuhause.
Ich bin über all die Jahre Hunderte Male zu jeder Jahreszeit hier gewesen, und es war nie langweilig. Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass ein Ort, den man so oft aufsucht, spannend bleibt und immer wieder Neues bietet. Die Erfahrung ist tiefgehender, denn man nimmt mehr Details wahr, wenn man das große Ganze bereits kennt.“Ihren Wohnsitz hat sie nach Jahren in Wien wieder in ihre Heimatstadt Gloggnitz am Beginn des Höllentals verlegt. „Es war einfach naheliegend, dass ich wieder auf dem Land lebe, da mein zentrales Thema die Natur ist“, erzählt sie, während wir am Wiener Wasserleitungsweg von Hirschwang an der Rax nach Kaiserbrunn, immer entlang der Schwarza, wandern. Die Großstadt Wien wird von hier aus mit kostbarem Trinkwasser direkt vom Berg versorgt – was für eine Millionenmetropole einzigartig ist. Durch die Wasserleitung, erbaut zwischen 1869 und 1873, fließen Tag für Tag bis zu 220.000 Kubikmeter Wasser nach Wien. „Viele Menschen verbinden mit dem Höllental schöne Erinnerungen und sie sind dankbar, dass ich diese Impressionen in einem Buch festhalte und damit auch ihre Heimat würdige.“Aber auch Künstler André Heller ist angetan. Er schreibt über ihre Arbeit: „Verwehende Glückskunst erster Klasse.“