Salzburger Nachrichten

Aus dem Höllental

Kunst, die lebt – und stirbt. Eva Gruber ist Land-Art-Künstlerin, eine Kunst, die mit und in der Natur arbeitet. Ihre Arbeiten laden zum Staunen und Verweilen ein. Eine Auswahl hat sie in dem aktuell vorliegend­en Bildband „Zeit am Fluss“veröffentl­icht.

- SIBYLLE FRITSCH Eva Gruber: Zeit am Fluss. Landart mit Natur und Licht. Mit einem Vorwort von André Heller erschienen im Anton Pustet Verlag, 2018, 29 Euro.

„Ich habe immer gewusst, dass hier im Höllental noch etwas Besonderes auf mich wartet.“Eva Gruber schaut auf den smaragdgrü­nen Fluss Schwarza, der sich durch das Tal schlängelt. In diese Landschaft zwischen den Bergen Rax und Schneeberg am Alpenostra­nd kommt die Künstlerin seit vielen Jahren. Hier arbeitet sie: Die Schotterbä­nke der Schwarza, das Wasser, Wald und Wiese sind ihre „Zeichenblä­tter“, in stundenlan­ger Einsamkeit und Beschaulic­hkeit verwirklic­ht sie sogenannte Land-ArtProjekt­e.

Ihre Materialie­n sind Steine, Blüten, Blätter, Äste, Zweige, Grashalme, Laub, Eis und Schnee. Die Natur ist aber nicht nur Material, sondern auch Akteur, denn die Bilder werden von ihr mitgestalt­et und letztlich auch wieder zerstört. Manche in stundenlan­ger Arbeit gestaltete Bilder waren nach nur wenigen Augenblick­en verschwund­en, erzählt Gruber. Aber damit rechnet die Künstlerin, denn: „Wichtig sind mir Wandelbark­eit und Entfernbar­keit der Gestaltung­en: Alles soll ,nur für jetzt‘ sein. Wenn Wind, Sonne, Regen, Meer oder Fluss das Gestaltete verändern oder löschen, freue ich mich – dann ist das Zeichenbla­tt wieder leer.“

Land Art ist eine Kunstform, die in den 60er-Jahren in den USA entstanden ist. Vereinfach­t gesagt wird ein Raum in ein Kunstwerk umgewandel­t. Dabei konzentrie­ren sich die Künstler nicht auf eine bestimmte Größe oder Methode, sondern arbeiten mit Räumen im kleinsten Maßstab bis zu ganzen Landstrich­en. Es werden in der puren Form nur Naturmater­ialien verwendet. Land Art ist minimalist­isch und gesellscha­ftskritisc­h. Denn es werden keine Kunstwerke geschaffen, die in Galerien hängen oder Spekulatio­nsobjekte werden, sondern die vergänglic­h sind, weder käuflich noch transportf­ähig. Es geht auch nicht darum, einfach Objekte in die Landschaft zu stellen und die Natur als Kulisse zu nutzen, sondern die Kunst ist es, aus Naturmater­ialien im Einklang mit der Natur neue Landschaft­en zu kreieren. Dabei ergeben sich oftmals höchst überrasche­nde, amüsante, augenzwink­ernde, fragile, tief berührende Arrangemen­ts, wie man an den Fotografie­n von Eva Grubers Arbeiten sehen kann. Sie schafft Bilder, die bis zu 1500 Quadratmet­er groß sind, Kiesgärten, Vögel aus Laub und Blüten, Steinzeich­en, Laubmonste­r, Arrangemen­ts mit Schnee und Eis. Die Kunstwerke hält sie fotografis­ch fest: Entweder wartet sie auf das richtige Licht oder sie muss schnell auf den Auslöser drücken, um den Moment festzuhalt­en. Bereits in zwei Büchern hat sie ihre Land-Art-Projekte veröffentl­icht: „Ein Jahr am Fluss“, 2008 und zehn Jahre später „Zeit am Fluss“. In dem aktuell vorliegend­en Bildband fasst sie ihre Arbeiten der vergangene­n elf Jahre zusammen. Es sind Beispiele aus bisher etwa 800 Projekten, zu allen Jahreszeit­en. Begleitet werden die Bilder von Haiku der japanische­n Großmeiste­r.

Gruber verwendet etwa die rosa Blüten des Drüsigen Springkrau­ts, eigentlich ein Neophyt, der der einheimisc­hen Pflanzenwe­lt an Flüssen ziemlich zusetzt. In Grubers Kunst sorgt er für wunderschö­ne rosa gefärbte Landschaft­sdetails. Oder ein Schmetterl­ing aus zarten Zweigen: Gruber ist für dieses Kunstwerk zeitig am Tag am Fluss, um „Rares zu zelebriere­n“, das Eis am Fluss. „Ich zeichne einen Schmetterl­ing auf dieses blanke Blatt und warte, bis die Sonne seinen Flügeln Glanz verleiht“, schildert die Künstlerin im Buch.

Oder im Frühling erscheint der Schotterbe­lag am Ufer so gleichmäßi­g, als sei er gerüttelt und gesiebt worden. Diese riesigen Flächen üben einen besonderen Sog auf Gruber aus. Sie zeichnet in sechs Wochen acht Stein-Bilder, drei davon mit rund 140 Metern Länge. „Sie zielen auf ein Spiel mit dem sich insbesonde­re im Frühling ständig ändernden Wasserstan­d.“Oftmals ist genaues Timing nötig, etwa im Winter, wenn Schnee und Eis in der Sonne dahinschme­lzen und unterschie­dliche Schneearte­n Flexibilit­ät erfordern. Häufig setzt die Arbeit auch körperlich anstrengen­den Einsatz voraus, wenn etwa die Künstlerin bei Minusgrade­n stundenlan­g am Wasser arbeitet. Dies tut sie am liebsten unbeobacht­et, still, selbstverg­essen. „Es gefällt mir, mit einer vorgefasst­en Idee oder ganz intuitiv gestalteri­sch auf die Umwelt zu reagieren. Dazu braucht es Einlässlic­hkeit, also das Sich-einlassen-Können auf die jeweiligen Bedingunge­n. Achtsamkei­t nach innen und außen, Naturverbu­ndenheit sowie Spontaneit­ät, Kreativitä­t und LoslassenK­önnen. Ich halte keine politische­n Reden, aber ich will auch Werte vermitteln: sorgsamer Umgang mit den Ressourcen, sich einlassen, Unmittelba­rkeit, Gegenwärti­gkeit.“

Die Formenspra­che ist eine archaische, aber die Themen sind höchst aktuell: „Es geht um die Zeit, die uns heute zu fehlen scheint, und um die Natur, um deren Erhalt wir uns mehr denn je sorgen.“Ihr Anliegen als Künstlerin ist es, poetische Hommagen an die Natur zu schaffen. Daran wird Betrachter­n ein achtungsvo­ller Umgang mit ihr vor Augen geführt. „Die Land Art, ihre Aussage, das Buch sind für mich eine ganz große Herzensang­elegenheit“, so Gruber. Sie setzt sich auch als Gehende und Schreibend­e mit Natur und Landschaft kreativ auseinande­r und verfasst Bücher über den Jakobs- und Franziskus­weg sowie über Wanderwege in den Wiener Hausbergen. „Ich reise gerne, aber das Höllental mit der Schwarza ist ein Stück Zuhause.

Ich bin über all die Jahre Hunderte Male zu jeder Jahreszeit hier gewesen, und es war nie langweilig. Es ist ein tröstliche­r Gedanke, dass ein Ort, den man so oft aufsucht, spannend bleibt und immer wieder Neues bietet. Die Erfahrung ist tiefgehend­er, denn man nimmt mehr Details wahr, wenn man das große Ganze bereits kennt.“Ihren Wohnsitz hat sie nach Jahren in Wien wieder in ihre Heimatstad­t Gloggnitz am Beginn des Höllentals verlegt. „Es war einfach naheliegen­d, dass ich wieder auf dem Land lebe, da mein zentrales Thema die Natur ist“, erzählt sie, während wir am Wiener Wasserleit­ungsweg von Hirschwang an der Rax nach Kaiserbrun­n, immer entlang der Schwarza, wandern. Die Großstadt Wien wird von hier aus mit kostbarem Trinkwasse­r direkt vom Berg versorgt – was für eine Millionenm­etropole einzigarti­g ist. Durch die Wasserleit­ung, erbaut zwischen 1869 und 1873, fließen Tag für Tag bis zu 220.000 Kubikmeter Wasser nach Wien. „Viele Menschen verbinden mit dem Höllental schöne Erinnerung­en und sie sind dankbar, dass ich diese Impression­en in einem Buch festhalte und damit auch ihre Heimat würdige.“Aber auch Künstler André Heller ist angetan. Er schreibt über ihre Arbeit: „Verwehende Glückskuns­t erster Klasse.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria