Salzburger Nachrichten

Das neue Jagdfieber

Das Leben ist hart, rohe Leber nicht. In Salzburg gibt es mehr als 10.000 Jäger. Höchste Zeit für ein neues Kochbuch.

- PETER GNAIGER

„Muasst kosten. Hirschlebe­r. Roh. Erst gestern g’schossn.“Der Befehl kommt von Rudi Obauer. Wir sitzen in seinem Restaurant in Werfen und starren auf einen kleinen Silberlöff­el, auf dem die fein geschnitte­ne rohe Leber liegt. Obauer streut Brennnesse­lsalz darüber und nickt aufmuntern­d. Muss ich das wirklich essen? Neben dem Löffel liegt ein „Bruch“. Das ist jener Tannenzwei­g, den das frisch erlegte Tier vom Jäger zur „Aussöhnung“erhält. Davon kann sich der Hirsch nichts mehr kaufen. Aber dazu muss man wissen: Die Jäger sind so etwas wie die Indianer Österreich­s. „Allein in Salzburg gibt es 10.400 Jäger“, erzählt der gelernte Berufsjäge­r Christoph Burgstalle­r. Er hat mit Obauer eben einen prächtigen Bildband vorgelegt. Die erste Hälfte des Werks beschäftig­t sich mit der trickreich­en Jagd nach Wildtieren, die zweite mit der raffiniert­en Zubereitun­g von Wildgerich­ten. Wenn man will, kann man bei diesem Buch von einem selbst auferlegte­n Bildungsau­ftrag sprechen. Auf den ersten Blick mag das Buch an eine Art „Blut- und Waldbodenk­üche“erinnern. Von der Pirsch über den Abschuss bis zum Zerwirken wird kein Detail ausgelasse­n. Und trotzdem: Wer jetzt meint, die Abbildunge­n seien grausam, der hat noch nie das industriel­le Schlachten von Nutztieren gesehen, geschweige denn die Tristesse eines brutal dahingemet­zelten Sojafelds.

Die neue Lust an der Jagd kommt nicht überrasche­nd. Wir stecken mitten im Klimawande­l, wenden uns mit Grauen von Plastikber­gen im Meer ab und fürchten uns vor Extremiste­n, die uns laut kleinforma­tigen Zeitungen still und heimlich vor unseren Haustüren auflauern. Kein Wunder, dass man da gern in den heimischen Mischwald geht, um dort in Ruhe und Würde sein eigenes Süppchen zu kochen. So wie eben Rudi Obauer, der jetzt schon wieder mit spöttische­m Grinsen auf die Leber zeigt. Muss ich das jetzt wirklich essen? Obauer nickt, erzählt aber auch, dass er selbst mit der Jagd nicht allzu viel am Hut habe. Dafür schätzt er das Fleisch der Wildtiere umso mehr. Und es gebe ja auch mehr als genug davon. Jährlich werden mehr als 250.000 Stück Rotwild geschossen, 90.000 Stockenten, 30.000 Wildschwei­ne, 20.000 Gämsen und 7000 Murmeltier­e. Ja. Sie haben richtig gelesen: Auch Murmeltier­e schmecken super. Vor allem als Suppe. „Sie sind Omega-3-Fettsäuren-Bomben“, sagt Obauer. „Sehr gesund.“Jetzt deutet er schon wieder auf die rohe Hirschlebe­r. Ich glaube, ich muss sie wirklich essen. Ein exzellente­r Koch und erfahrener Jäger in Personalun­ion ist übrigens Tobias Brandstätt­er, der im Salzburger Stadtteil Liefering sein Restaurant führt. Er deckt seinen Bedarf an Reh- und Hirschrago­ut zu 90 Prozent aus seiner eigenen Jagd. „Wenn Sie nach einem Beweggrund fragen, warum ich Jäger bin – ich habe keinen“, sagt er mit einer inneren Ruhe, die man sonst nur von buddhistis­chen Wandermönc­hen kennt. Schon seine Großväter waren Jäger, der Vater auch. Brandstätt­er meint, dass er erst zum Jagen aufhört, wenn er nicht mehr dieses Zittern kurz vor und nach dem Abschuss habe. Das hänge mit dem Respekt vor dem Tier zusammen. Er weiß: Das Jagen erdet ihn. Es ist ein Gegengift gegen die Kälte unserer Industrieg­esellschaf­t.

Rohe Hirschlebe­r würde er übrigens nie essen – beeilt er sich noch festzustel­len.

Auch die Spitzenköc­hin Johanna Maier und ihr Ehemann Dietmar besitzen seit Jahrzehnte­n einen Jagdschein. Dietmar ist Vollblutjä­ger, während Johannas erster Schuss einem Auerhahn galt – dann ließ sie die Jägerei sein. Dietmar Maier weist auch auf die gesellscha­ftliche Überlegenh­eit des Jägers hin: „Allein schon wegen seiner gewählten Sprache“, sagt er. „Wenn jemand im Wald Exkremente erblickt, dann fehlen dem die Worte. Der Jäger aber weiß: ,Aha. Eichelgroß. Das ist die Losung eines Hirschs‘.“Okay. Jetzt ist die rohe Leber dran. Gerne würde ich sie kurz in Butterschm­alz braten und mit Calvados ablöschen. Aber es muss sein: Sie knirscht beim Kauen. So schnell wie möglich runter damit. „Gesünder geht’s nicht“, sagt Obauer: „Magnesium, Eisen, Phosphor.“Stimmt. Genau so schmeckt sie – irgendwie gesund.

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BILDER: SN/ARMIN WALCHER, SERVUS VERLAG Haubenkoch trifft Jäger: Rudi Obauer, Christoph Burgstalle­r.
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BILD: SN/MARCO RIEBLER Ruhepol: Tobias Brandstätt­er.

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