Das neue Jagdfieber
Das Leben ist hart, rohe Leber nicht. In Salzburg gibt es mehr als 10.000 Jäger. Höchste Zeit für ein neues Kochbuch.
„Muasst kosten. Hirschleber. Roh. Erst gestern g’schossn.“Der Befehl kommt von Rudi Obauer. Wir sitzen in seinem Restaurant in Werfen und starren auf einen kleinen Silberlöffel, auf dem die fein geschnittene rohe Leber liegt. Obauer streut Brennnesselsalz darüber und nickt aufmunternd. Muss ich das wirklich essen? Neben dem Löffel liegt ein „Bruch“. Das ist jener Tannenzweig, den das frisch erlegte Tier vom Jäger zur „Aussöhnung“erhält. Davon kann sich der Hirsch nichts mehr kaufen. Aber dazu muss man wissen: Die Jäger sind so etwas wie die Indianer Österreichs. „Allein in Salzburg gibt es 10.400 Jäger“, erzählt der gelernte Berufsjäger Christoph Burgstaller. Er hat mit Obauer eben einen prächtigen Bildband vorgelegt. Die erste Hälfte des Werks beschäftigt sich mit der trickreichen Jagd nach Wildtieren, die zweite mit der raffinierten Zubereitung von Wildgerichten. Wenn man will, kann man bei diesem Buch von einem selbst auferlegten Bildungsauftrag sprechen. Auf den ersten Blick mag das Buch an eine Art „Blut- und Waldbodenküche“erinnern. Von der Pirsch über den Abschuss bis zum Zerwirken wird kein Detail ausgelassen. Und trotzdem: Wer jetzt meint, die Abbildungen seien grausam, der hat noch nie das industrielle Schlachten von Nutztieren gesehen, geschweige denn die Tristesse eines brutal dahingemetzelten Sojafelds.
Die neue Lust an der Jagd kommt nicht überraschend. Wir stecken mitten im Klimawandel, wenden uns mit Grauen von Plastikbergen im Meer ab und fürchten uns vor Extremisten, die uns laut kleinformatigen Zeitungen still und heimlich vor unseren Haustüren auflauern. Kein Wunder, dass man da gern in den heimischen Mischwald geht, um dort in Ruhe und Würde sein eigenes Süppchen zu kochen. So wie eben Rudi Obauer, der jetzt schon wieder mit spöttischem Grinsen auf die Leber zeigt. Muss ich das jetzt wirklich essen? Obauer nickt, erzählt aber auch, dass er selbst mit der Jagd nicht allzu viel am Hut habe. Dafür schätzt er das Fleisch der Wildtiere umso mehr. Und es gebe ja auch mehr als genug davon. Jährlich werden mehr als 250.000 Stück Rotwild geschossen, 90.000 Stockenten, 30.000 Wildschweine, 20.000 Gämsen und 7000 Murmeltiere. Ja. Sie haben richtig gelesen: Auch Murmeltiere schmecken super. Vor allem als Suppe. „Sie sind Omega-3-Fettsäuren-Bomben“, sagt Obauer. „Sehr gesund.“Jetzt deutet er schon wieder auf die rohe Hirschleber. Ich glaube, ich muss sie wirklich essen. Ein exzellenter Koch und erfahrener Jäger in Personalunion ist übrigens Tobias Brandstätter, der im Salzburger Stadtteil Liefering sein Restaurant führt. Er deckt seinen Bedarf an Reh- und Hirschragout zu 90 Prozent aus seiner eigenen Jagd. „Wenn Sie nach einem Beweggrund fragen, warum ich Jäger bin – ich habe keinen“, sagt er mit einer inneren Ruhe, die man sonst nur von buddhistischen Wandermönchen kennt. Schon seine Großväter waren Jäger, der Vater auch. Brandstätter meint, dass er erst zum Jagen aufhört, wenn er nicht mehr dieses Zittern kurz vor und nach dem Abschuss habe. Das hänge mit dem Respekt vor dem Tier zusammen. Er weiß: Das Jagen erdet ihn. Es ist ein Gegengift gegen die Kälte unserer Industriegesellschaft.
Rohe Hirschleber würde er übrigens nie essen – beeilt er sich noch festzustellen.
Auch die Spitzenköchin Johanna Maier und ihr Ehemann Dietmar besitzen seit Jahrzehnten einen Jagdschein. Dietmar ist Vollblutjäger, während Johannas erster Schuss einem Auerhahn galt – dann ließ sie die Jägerei sein. Dietmar Maier weist auch auf die gesellschaftliche Überlegenheit des Jägers hin: „Allein schon wegen seiner gewählten Sprache“, sagt er. „Wenn jemand im Wald Exkremente erblickt, dann fehlen dem die Worte. Der Jäger aber weiß: ,Aha. Eichelgroß. Das ist die Losung eines Hirschs‘.“Okay. Jetzt ist die rohe Leber dran. Gerne würde ich sie kurz in Butterschmalz braten und mit Calvados ablöschen. Aber es muss sein: Sie knirscht beim Kauen. So schnell wie möglich runter damit. „Gesünder geht’s nicht“, sagt Obauer: „Magnesium, Eisen, Phosphor.“Stimmt. Genau so schmeckt sie – irgendwie gesund.