Salzburger Nachrichten

Von Guten und Bosnigln

- Martin Stricker

ICHfahre mit dem Rad. Ich tue das nicht aus sportliche­n Gründen, sondern weil es eine akkurate und rasche Methode ist, von A nach B zu gelangen. Und weil es, unter uns gesagt, mit gutem Gewissen ein wenig spitze Schadenfre­ude über all die Mitbürgeri­nnen und Mitbürger erlaubt, die in ihren Blechkäfig­en genervt im Stau köcheln.

Ähem. So wird der Gutmensch zum Bosnigl, könnte man sagen. Aber darauf wollte ich jetzt gar nicht hinaus.

Worauf ich hinauswoll­te, ist meine geschätzte und bewunderte Kollegin Stefanie Schenker, die sich an diesem Platz vergangene Woche als mutige Einzelkämp­ferin geoutet hat. Sie fährt nämlich auch Rad, aber erst seit Kurzem. Und sie gestand, bei einer roten Ampel tatsächlic­h stehen zu bleiben und zu warten, bis sie auf Grün schaltet. Was sie als Radfahreri­n, wie sie feststellt­e,

zur einsamen Bannerträg­erin verkehrste­chnischer Moral macht.

Das tut nichts, möchte ich ihr tröstend zurufen. Es muss sich deswegen niemand einsam fühlen. Es lohnt sich, bei Rot stehen zu bleiben. Ich versuche es immer. Außer der Bosnigl in mir gewinnt die Überhand.

Na ja. Aber ansonsten gehöre ich zu den Guten. Ganz eindeutig. Ich renne zum Beispiel seit fast zehn Jahren durch die Gegend und nerve mit dem Klimawande­l. Mittlerwei­le nerven aber auch andere. Laut einer gerade veröffentl­ichten Umfrage finden immerhin 67 Prozent aller österreich­ischen Schülerinn­en und Schüler, dass die Europäisch­e Union – und überhaupt alle – schleunigs­t etwas gegen die Klimaerwär­mung tun sollen. Das Thema steht ganz oben auf der Agenda der jungen Leute.

Da sieht hastdunich­tgesehen ein ganzes Establishm­ent alt aus. Denn fast allen unseren Politikeri­nnen und Politikern, unseren Kammerfunk­tionären und Interessen­vertretern, ist der Klimawande­l völlig schnurz. Interessie­rt sie bei Sonntagsre­den, das ja. Wenn sie irgendwelc­he Nachhaltig­keitsberic­hte machen oder Parteiprog­ramme. Danach eher nicht mehr.

Wir sehen: Ganze Gesellscha­ftsteile können unversehen­s zu geradezu apokalypti­schen Bosnigln werden. Wenn zum Beispiel schon längst alle Ampeln unseres Ökosystems rot leuchten und trotzdem niemand stehen bleiben will.

Dass es auch anders herum funktionie­rt, zeigt unser Arnold Schwarzene­gger. Er wurde von einem, dessen kalifornis­che Karosse gar nicht genug Pferdestär­ken haben konnte, von einem, bei dem sich auch noch der letzte Österreich­er bemüßigt sah, ihm jeden Funken Hirn abzusprech­en, zu einer globalen Leitfigur im Klima-Kampf.

So nahe nämlich wohnen die beiden Seelen in uns.

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