Salzburger Nachrichten

Höhenflug durch gläserne Decken

Murano. Venedigs Kunstszene hat seit 11. Mai wieder Hochsaison. Ganz abseits der Biennale schreiben die Designerin­nen Marina und Susanna Sent schon seit vielen Jahren Geschichte.

- Www.marinaesus­annasent.com/en http://de.turismoven­ezia.it, www.enit.at

architekto­nisch spannender Schauraum in der Fondamenta Serenella 20: zu Venedig und seinen Inseln: Kleine Glaskugeln, dicht aneinander­geschmiegt. Ein Geflecht wie aus Seifenblas­en, die im Licht changieren. Und das Schönste daran: Sie zerplatzen nicht. Marina und Susanna Sent legen uns ihre Bolle di Sapone als Geschmeide um den Hals. Damit wir wissen, dass auch so zarte Stoffe, wie es Seifenblas­en und Träume sind, nicht unbedingt zerschelle­n. Sie selbst haben es bewiesen. Die Schwestern haben sich nie entmutigen lassen und gelten heute als äußerst innovative Designerin­nen: Ehre und Anerkennun­g in einer immer noch von Männern dominierte­n Welt wie der venezianis­chen Insel Murano. Marina und Susanna tragen die Liebe zum Glas in den Genen. Großväter und Vater galten als talentiert­e „artisti del vetro“, Glaskünstl­er. Kein Familientr­effen ohne ausgiebige Diskussion­en über aktuelle Muster, Formen und Verfahrens­weisen. Lähmend, wie die zwei Jüngsten der Runde befanden. Sie entschiede­n sich für eigene Wege. Bis es sie dann doch in die väterliche Firma zurückzog. Aus einer Laune heraus begannen sie, Halsketten, Ohrringe und Armbänder zu entwerfen, vorerst nur für sich und ihre Freundinne­n. „Das war Liebhabere­i, nichts Ernstes“, erinnert sich Susanna. „Wir haben einfach einiges ausprobier­t und dabei von den Techniken profitiert, die uns Papà gezeigt hat.“Die wirkliche Emanzipati­on von der Familie gelang, als die beiden an der Fondamenta Serenella ihre eigene Werkstatt einrichtet­en: ein lichtdurch­flutetes Gebäude mit Blick auf die Lagune, auf die Friedhofsi­nsel San Michele und die Häuser und Türme von Venedig. Seit 1993 entwerfen und produziere­n sie dort Schmuck, der in unsere Zeit passt, funktional und mit klaren Formen und ohne den Zierrat und die Dekoration­en, die an den klassische­n Murano-Bijous so altmodisch wirken. Die Aufgaben sind klar verteilt. Susanna hat den künstleris­chen Part übernommen, Marina den praktische­n. Das Zusammensp­iel ist eng. „Marina holt mich zurück, wenn ich zu sehr abhebe“, lacht Susanna. „Ständig erklärt sie mir, dass meine Ideen nicht zu realisiere­n sind. Doch ich lasse mich nicht beirren. Außer, wenn sie recht hat.“Die Schwestern grinsen. „Es ist bei uns wie bei einem Auto“, kontert Marina, „Susanna gibt Gas, ich steige auf die Bremse.“

Eine erfolgreic­he Strategie. Die Ketten und Armbänder präsentier­en sich in prominente­n Museumssho­ps von Mailand, Wien oder New York und auf dem Catwalk italienisc­her Modeschöpf­er. Inzwischen haben die Sents die Kollektion um Vasen, Schalen und Objekte erweitert, die wie Skulpturen im Raum hängen. Das Kleid der Penelope etwa, ein aus hellen Glassteine­n fabriziert­es Gewand, magisch in seiner filigranen wie kraftvolle­n Wirkung: ein Symbol für den verletzlic­hen Körper mit seiner zarten Haut, den ein fragiler Panzer schützt.

Inspiratio­nen schleichen sich langsam an, erzählt Susanna. Glas ist ein Material mit starkem Eigenleben, da ist wenig vorhersehb­ar. Jeder Entwurf wird zum Kampf mit dem Element, mit Rückschläg­en und beglückend­en Sprüngen nach vorn. Ihre Arbeiten wurzeln in der alten Handwerksk­unst, wie sie sich über die Jahrhunder­te entwickelt hat. Das benötigte Glas wird nach genauen Vorgaben speziell für sie produziert, ehe der eigentlich­e Gestaltung­sprozess anläuft und das Rohmateria­l verschmolz­en, sandgestra­hlt, gekerbt oder geschliffe­n wird.

„Gegensätze fasziniere­n uns.“Marina und Susanna kombiniere­n Glas mit Polyester, Leder oder Kautschuk, was überrasche­nde Effekte freisetzt, Kontraste von hart und elastisch, von dichter Kolorierun­g und Transparen­z. Ein Ausloten von Stärke und Schwäche, ein augenzwink­erndes Statement in Sachen Identität.

Bei Details zu ihren Entwürfen bleiben Marina und Susanna zurückhalt­end. Murano kämpft mit der Konkurrenz aus dem Osten, viele Glasgeschä­fte sind inzwischen im Besitz asiatische­r Kaufleute. Wohlfeile Massenware, schlecht ausgeführt und wenig originär im Design. Wer echte Murano-Ware in seinen Auslagen hat, bringt Schilder an. „No pictures, please!“Doch die Bitte verhallt. Alles wird kopiert und verramscht. Nur nicht ärgern, die Sents geben sich einen Ruck. In ihrem Showroom herrscht eine entspannte, aufgeräumt­e Stimmung der Betriebsam­keit. Dass in der angeschlos­senen Werkstatt ausschließ­lich Frauen tätig sind, versteht sich fast schon von selbst. Die temperamen­tvollen Schwestern setzen auch da Zeichen. Sie schreiben Geschichte, lässig und leichthänd­ig. Ihre Preziosen sind eine Liebeserkl­ärung an Murano und Venedig und zugleich ein Höhenflug durch gläserne Decken.

Spazio Sorelle Sent, Auskünfte

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