Salzburger Nachrichten

Salzburg ohne Europa? Unvorstell­bar!

Salzburg ist ein Inbegriff für Internatio­nalität, zugleich aber liebevoll engstirnig und manchmal ärgerlich überheblic­h. Warum eigentlich?

- Hermann Fröschl WWW.SN.AT/WIZANY

Irgendwann sei der Zeitpunkt gekommen, an dem man nicht mehr wahltaktis­ch überlegen dürfe. Irgendwann gehe es auch um Haltung – Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer verwendete ein verräteris­ches Adverb, als er diese Woche den Bruch der Bundesregi­erung durch die ÖVP begründete: irgendwann!

Es ist ein Faktum, dass Parteitakt­ik und Marketing in der Politik überhandne­hmen. Dies zu leugnen wäre naiv. Dies pauschal zu verteufeln ebenfalls. Trotzdem muss klar sein, dass gerade Politik von Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit lebt. Und beides ohne Haltung undenkbar ist.

Haltung bedeutet, auch dann zu seinen Überzeugun­gen zu stehen, wenn es unpopulär oder unbequem wird. Haltung gehört aber auch auf den (eigenen) Prüfstand gestellt. Und notfalls hinterfrag­t, wenn neue Fakten vorliegen, die dazu angetan sind, Entscheidu­ngen zu überdenken.

Das führt uns direkt zu der morgen anstehende­n EU-Wahl. Auch Europa braucht Haltung. Es braucht aber auch die Fähigkeit, neue Argumente abzuwägen und Fehlentwic­klungen zu erkennen. Und Korrekturb­edarf gibt es in der EU genug. Weil die Union zwar sehr schnell gewachsen ist, es aber fatalerwei­se verabsäumt hat, parallel das Zusammensp­iel der Institutio­nen und ihre Entscheidu­ngsmechani­smen anzupassen. So gehören 27 Staaten zusammen, und doch wieder nicht. Das Vorhaben, US-Internetgi­ganten wie Google oder Facebook endlich auch hier ordentlich zu besteuern, scheiterte am Veto von Irland. Die Unfähigkei­t der EU-Staaten, die Flüchtling­skrise zu meistern, ist legendär. Und das Europäisch­e Parlament, das wir morgen wählen, hat sich zwar gemausert, darf aber bis heute keine Gesetzesin­itiative ergreifen.

Die EU ist eine Großbauste­lle in höchst turbulente­n Zeiten. Trotzdem spürt jeder, dass ein gemeinsame­s Europa wichtiger denn je ist. Wie sollen einzelne Staaten Weltkonzer­nen und Großmächte­n wie USA oder China die Stirn bieten? Ein Ding der Unmöglichk­eit. Trotzdem streiten wir lieber darüber, ob Kleinzeug wie eine Pommes-Verordnung der EU nötig ist. Es ist erschütter­nd, wie sehr der Blick fürs Wesentlich­e getrübt ist.

Und was wäre Salzburg ohne Europa? Unendlich ärmer – kulturell, wirtschaft­lich, auch gesellscha­ftlich. Salzburg ist ein Inbegriff von Internatio­nalität. Ob Festspiele, Tourismus oder Europa und der Salzburger Stier . . . die exportstar­ke Wirtschaft rund um Red Bull: Salzburg lebt davon, seine Grenzen zu überschrei­ten. Salzburg ist quasi ein Gegenentwu­rf zu Abschottun­g und Provinzial­ität. Dass die Stadt trotzdem eine kleinbürge­rliche Spießigkei­t und Überheblic­hkeit umweht, ist manchmal höchst befremdlic­h. Doch Salzburg hat gelernt, mit diesem Widerspruc­h zu leben. Auf eigentümli­che Weise ergänzt sich beides. Wohl auch, weil die Salzburger meist auf der (finanziell­en) Siegerseit­e sind. Tatsächlic­h profitiert Salzburg wie kaum eine andere Region vom gemeinsame­n Binnenmark­t. Er steigerte die Wirtschaft­sleistung pro Einwohner und Jahr um 2038 Euro, der EU-Schnitt kommt nicht einmal auf die Hälfte.

So bejubeln wir die Festspiele und ihr internatio­nales Flair und mosern zeitgleich über das elitäre Gehabe. Wir nehmen dankend die Milliarden von Gästen aus aller Welt und beklagen bitter, wie lästig die Touristenm­assen sind. Der Süden des Landes, Innergebir­g, verwebt diese Ambivalenz in nahezu perfekter Weise. Hohes Traditions­bewusstsei­n, gepaart mit liebevolle­r Engstirnig­keit und Kraftmeier­ei, heißt in den engen Tälern die Welt in all ihrer Buntheit willkommen. Sogar mit Heerschare­n von Arabern hat Zell am See – zwar mehr recht als schlecht – leben gelernt.

Die Schattense­iten der hohen Anziehungs­kraft gehören offen angesproch­en. Da ist die Gefahr, dass Salzburg weitere Naturschät­ze dem Tourismus opfert. Da sind die Verkehrsma­ssen, die sich durchs Land quälen. Da sind internatio­nale Anleger, die Salzburg auf ihrer Liste haben. Dass die Wohnungspr­eise explodiere­n, hat zwangsläuf­ig auch damit zu tun. Selbes gilt für den Ausverkauf von Grund und Boden, gegen den sich die regionale Politik immer energische­r wehren muss.

Salzburg ohne Europa? Es wäre undenkbar. Europa gibt diesem Land eine Größe, die es sonst nie hätte. Kein Wunder, dass uns Europa damit auch gewaltig fordert.

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