Salzburg ohne Europa? Unvorstellbar!
Salzburg ist ein Inbegriff für Internationalität, zugleich aber liebevoll engstirnig und manchmal ärgerlich überheblich. Warum eigentlich?
Irgendwann sei der Zeitpunkt gekommen, an dem man nicht mehr wahltaktisch überlegen dürfe. Irgendwann gehe es auch um Haltung – Landeshauptmann Wilfried Haslauer verwendete ein verräterisches Adverb, als er diese Woche den Bruch der Bundesregierung durch die ÖVP begründete: irgendwann!
Es ist ein Faktum, dass Parteitaktik und Marketing in der Politik überhandnehmen. Dies zu leugnen wäre naiv. Dies pauschal zu verteufeln ebenfalls. Trotzdem muss klar sein, dass gerade Politik von Vertrauen und Glaubwürdigkeit lebt. Und beides ohne Haltung undenkbar ist.
Haltung bedeutet, auch dann zu seinen Überzeugungen zu stehen, wenn es unpopulär oder unbequem wird. Haltung gehört aber auch auf den (eigenen) Prüfstand gestellt. Und notfalls hinterfragt, wenn neue Fakten vorliegen, die dazu angetan sind, Entscheidungen zu überdenken.
Das führt uns direkt zu der morgen anstehenden EU-Wahl. Auch Europa braucht Haltung. Es braucht aber auch die Fähigkeit, neue Argumente abzuwägen und Fehlentwicklungen zu erkennen. Und Korrekturbedarf gibt es in der EU genug. Weil die Union zwar sehr schnell gewachsen ist, es aber fatalerweise verabsäumt hat, parallel das Zusammenspiel der Institutionen und ihre Entscheidungsmechanismen anzupassen. So gehören 27 Staaten zusammen, und doch wieder nicht. Das Vorhaben, US-Internetgiganten wie Google oder Facebook endlich auch hier ordentlich zu besteuern, scheiterte am Veto von Irland. Die Unfähigkeit der EU-Staaten, die Flüchtlingskrise zu meistern, ist legendär. Und das Europäische Parlament, das wir morgen wählen, hat sich zwar gemausert, darf aber bis heute keine Gesetzesinitiative ergreifen.
Die EU ist eine Großbaustelle in höchst turbulenten Zeiten. Trotzdem spürt jeder, dass ein gemeinsames Europa wichtiger denn je ist. Wie sollen einzelne Staaten Weltkonzernen und Großmächten wie USA oder China die Stirn bieten? Ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem streiten wir lieber darüber, ob Kleinzeug wie eine Pommes-Verordnung der EU nötig ist. Es ist erschütternd, wie sehr der Blick fürs Wesentliche getrübt ist.
Und was wäre Salzburg ohne Europa? Unendlich ärmer – kulturell, wirtschaftlich, auch gesellschaftlich. Salzburg ist ein Inbegriff von Internationalität. Ob Festspiele, Tourismus oder Europa und der Salzburger Stier . . . die exportstarke Wirtschaft rund um Red Bull: Salzburg lebt davon, seine Grenzen zu überschreiten. Salzburg ist quasi ein Gegenentwurf zu Abschottung und Provinzialität. Dass die Stadt trotzdem eine kleinbürgerliche Spießigkeit und Überheblichkeit umweht, ist manchmal höchst befremdlich. Doch Salzburg hat gelernt, mit diesem Widerspruch zu leben. Auf eigentümliche Weise ergänzt sich beides. Wohl auch, weil die Salzburger meist auf der (finanziellen) Siegerseite sind. Tatsächlich profitiert Salzburg wie kaum eine andere Region vom gemeinsamen Binnenmarkt. Er steigerte die Wirtschaftsleistung pro Einwohner und Jahr um 2038 Euro, der EU-Schnitt kommt nicht einmal auf die Hälfte.
So bejubeln wir die Festspiele und ihr internationales Flair und mosern zeitgleich über das elitäre Gehabe. Wir nehmen dankend die Milliarden von Gästen aus aller Welt und beklagen bitter, wie lästig die Touristenmassen sind. Der Süden des Landes, Innergebirg, verwebt diese Ambivalenz in nahezu perfekter Weise. Hohes Traditionsbewusstsein, gepaart mit liebevoller Engstirnigkeit und Kraftmeierei, heißt in den engen Tälern die Welt in all ihrer Buntheit willkommen. Sogar mit Heerscharen von Arabern hat Zell am See – zwar mehr recht als schlecht – leben gelernt.
Die Schattenseiten der hohen Anziehungskraft gehören offen angesprochen. Da ist die Gefahr, dass Salzburg weitere Naturschätze dem Tourismus opfert. Da sind die Verkehrsmassen, die sich durchs Land quälen. Da sind internationale Anleger, die Salzburg auf ihrer Liste haben. Dass die Wohnungspreise explodieren, hat zwangsläufig auch damit zu tun. Selbes gilt für den Ausverkauf von Grund und Boden, gegen den sich die regionale Politik immer energischer wehren muss.
Salzburg ohne Europa? Es wäre undenkbar. Europa gibt diesem Land eine Größe, die es sonst nie hätte. Kein Wunder, dass uns Europa damit auch gewaltig fordert.