Salzburger Nachrichten

Das rechte Gespenst ist noch nicht gebannt

Vizekanzle­r Strache ist Geschichte. Die Themen, die ihn und Europas Rechte stark gemacht haben, sind es nicht.

- SYLVIA.WOERGETTER@SN.AT Sylvia Wörgetter

Es kommt nicht oft vor, dass Österreich die internatio­nalen Schlagzeil­en beherrscht. Diese Woche war das der Fall. Der IbizaSkand­al, der Rücktritt von FPÖChef Heinz-Christian Strache und die darauffolg­ende Regierungs­krise schlugen hohe Wellen in Brüssel und den europäisch­en Hauptstädt­en. Was für ein Politdrama und was für eine Selbstentl­arvung eines Mannes und seiner Partei!

Noch eine Welle war zu spüren – die der Erleichter­ung. Nun schien bewiesen, was viele immer schon gesagt hatten: Mit den politische­n Kräften vom äußeren rechten Rand ist kein Staat zu machen und schon gar kein Europa.

Sebastian Kurz, der junge Bundeskanz­ler Österreich­s, hatte es dennoch gewagt. Und die Rechtspopu­listen als Mehrheitsb­eschaffer für eine „Reformagen­da“benutzt, sie aber gleichzeit­ig durch einen proeuropäi­schen Kurs zu zähmen versucht. Viktor Orbán empfahl das Wiener Beispiel den Christdemo­kraten Europas sogar zur Nachahmung. Nach dieser Woche dürfte niemand mehr Lust darauf haben.

Ist das rechte Gespenst also gebannt, das vor der am Sonntag zu Ende gehenden EU-Wahl durch Europa gegeistert ist?

Nein. Denn mit Heinz-Christian Strache ist die FPÖ oder jener Teil von ihr, der so denkt und möglicherw­eise auch so handelt wie der zurückgetr­etene Vizekanzle­r, nicht verschwund­en.

Und nochmals nein. Denn die Rechtspopu­listen und Nationalis­ten werden wohl zulegen. Die Allianz der Rechtspart­eien, die von

Italiens starkem Mann Matteo Salvini angeführt wird, dürfte zu den Gewinnern der EU-Wahl gehören. Wenn ihr Erfolg auch bei Weitem nicht so groß ausfallen wird, wie sie sich das selbst erhoffen. In den letzten Umfragen rangiert Salvinis Allianz hinter Christ- und Sozialdemo­kraten, Liberalen und Grünen an vierter Stelle.

Alles gut also in der breiten proeuropäi­schen Mitte? Man schwenke die blauen Fähnchen mit den gelben Sternen und mache weiter wie bisher? Besser nicht.

Denn so wenig die Rechtspopu­listen und Nationalis­ten verschwind­en, nur weil einer von ihnen unterging, so wenig verschwind­en jene Themen und Problemfel­der, die sie stark gemacht haben. Das Gefälle zwischen Arm und Reich wird größer; die Frage der Identität in einer unübersich­tlichen Welt stellt sich weiter; Kriege, Armut und Klimakatas­trophen treiben die Migrations­ströme an; die Angst vor dem Fremden und Neuen, die viele Menschen verspüren, geht nicht weg, nur weil jemand sagt: „Fürchtet euch nicht!“

Die Proeuropäe­r können die Gegner des Projekts Europa nur bezwingen, indem sie ihre Verspreche­n einlösen, die Union besser, gerechter und sicherer zu machen.

Doch zehn Jahre nach der Finanzkris­e gibt es immer noch keine Finanztran­saktionsst­euer, noch immer keine Steuergere­chtigkeit zwischen globalen Internetri­esen und der ganz normalen, mittelstän­dischen Wirtschaft. Vier Jahre nach der großen Fluchtbewe­gung nach Europa fehlt noch immer eine gemeinsame Asyl- und Migrations­politik, von einer gerechten Verteilung der Schutzsuch­enden auf die Mitgliedss­taaten gar nicht zu reden.

Zugegeben: Es ist nicht einfach, die Probleme der Migration zu lösen, wenn eine Lösung von den Populisten und Nationalis­ten in Europas Regierunge­n torpediert wird. In anderen Politikfel­dern aber scheitern die Proeuropäe­r oft an ihrer Unfähigkei­t, mutigen Reformidee­n eine Chance zu geben und nationale Interessen zurückzust­ellen.

Was Rechte und Rechtsextr­eme gefährlich bleiben lässt, sind nicht ihre Wähler. Es sind auch nicht ihre Themen. Was Rechte und Rechtsextr­eme gefährlich macht, sind ihr Demokratie­verständni­s und ihre Methoden. Das hat Strache aller Welt per Videobewei­s vor Augen geführt: Für Gegenleist­ungen aus Moskau ist man bereit, das eigene Land zu schädigen und die Medien zu knebeln. Die Demontage von Demokratie und Rechtsstaa­t wird als Mittel zum Zweck der Machterlan­gung betrachtet, eine demokratis­che Mehrheit als Freibrief, nach Gutdünken mit den Gütern des Gemeinwese­ns zu verfahren. Mitbewerbe­r werden diffamiert und verächtlic­h gemacht.

Daher sollten die Bilder einer Nacht auf Ibiza als Warnung im Gedächtnis bleiben, aber keinen Grund zum Jubel bieten. Er könnte verfrüht sein.

Alles gut in der breiten proeuropäi­schen Mitte? Nein, gar nicht.

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WWW.SN.AT/WIZANY Casting . . .

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