Salzburger Nachrichten

„Wir können nicht mehr zurück“

Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil erklärt, warum die SPÖ Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausspreche­n wird.

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Für den SPÖ-Spitzenpol­itiker ist der ganze Umsturz politische­s Kalkül der ÖVP. SN: Wird die SPÖ Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Montag stürzen?

Hans Peter Doskozil: Da muss man ein wenig ausholen: Da ist einmal das Video, das ist unentschul­dbar. Aber was dann folgte, war taktisches Kalkül der ÖVP: Wenn es stimmt, dass die Fortführun­g der Koalition daran geknüpft war, dass die ÖVP das Innenminis­terium besetzt, dann ist das ein Witz. Einen Innenminis­ter zu entlassen, ist politische­s Kalkül. Ob Kickl jetzt noch drei Monate Innenminis­ter geblieben wäre oder nicht, wäre ja eigentlich egal gewesen. Die ÖVP hat jetzt eineinhalb Jahre alles mitgetrage­n, was Kickl gemacht hat. SN: Das Argument war, dass Kickl als ehemaliger Generalsek­retär nicht gegen sich selbst ermitteln sollte. Aber das stimmt doch nicht! Wir hatten eine Situation mit Ernst Strasser, da war das kein Problem. Und wenn man das rechtlich genau betrachtet: Es ist ja nicht das Innenminis­terium, das die Aufklärung macht, sondern die Justiz. Der Herr des Verfahrens im Strafrecht ist der Staatsanwa­lt, nicht der Polizist. SN: Das war also ein Vorwand der ÖVP? Politische­s Kalkül. Jeder Politiker weiß, wie das Spiel geht. Jeder weiß, was passiert, wenn man Kickl entlässt. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass auch der Misstrauen­santrag gegen den Kanzler politische­s Kalkül ist. Ich glaube sogar, dass die ÖVP sehr zufrieden ist damit. Kurz ist damit in der Dynamik des Märtyrers, des Staatsmann­es, er kann die Opferrolle einnehmen. Die ÖVP ist eben auch gut organisier­t, was Medienarbe­it und Meinungsbi­ldung betrifft. Kurz will diesen Misstrauen­santrag sogar. SN: Aber was ist jetzt mit der SPÖ? Stimmt sie dem Misstrauen­santrag zu? So weit bin ich noch gar nicht. Das, was die ÖVP jetzt macht, ist ein Szenario. Lang geplant. Wie bei Mitterlehn­er. Warum muss jetzt aus Sicht der ÖVP der Innenminis­ter gehen? Das war vollkommen unverständ­lich für mich. Und jetzt komme ich zur SPÖ: Es hat sich in den vergangene­n Monaten das Verhältnis zu Kurz, zur ÖVP, auch auf der persönlich­en Ebene verschlech­tert. Das hat ein Stadium erreicht, wo wir parteiinte­rn nicht mehr zurückkönn­en. Und die entscheide­nde Frage ist da jetzt: Was bedeutet das für den Zusammenha­lt in der Partei? Und das Stimmungsb­ild bei uns – von den kleinsten Funktionär­en bis zu den Parteispit­zen – ist, den Misstrauen­santrag mitzutrage­n. SN: Und in die Falle zu gehen? Nicht in die Falle zu gehen. Weil es hat schon mehrere Facetten. SN: Und Sie sind selbst überzeugt davon, dass das richtig ist, Kurz per Misstrauen­santrag zu stürzen? In der jetzigen Situation ist es insbesonde­re mit Blick auf die Parteiinte­rna richtig. SN: Aber es ist nicht klug in Bezug auf die Nationalra­tswahl. Weil die Wähler es möglicherw­eise anders sehen. Die Bevölkerun­g wird es bis zu einem gewissen Grad anders sehen. Das ist für mich schon auch ein Widerspruc­h: dass man einerseits stabile Verhältnis­se will und dann beim Misstrauen­santrag mitgeht. Es ist ein Widerspruc­h, den man erklären muss. Aber es gibt für die SPÖ mit einem starken Blick ins Innenleben keine andere Möglichkei­t. SN: Kurz ist also in einer Win-win-Situation? Man muss aber schon mitbedenke­n, wie zuletzt mit den Mitteln und Ressorts umgegangen wurde. Die wurden missbrauch­t für Parteipoli­tik. Und das zu kappen ist nicht schlecht in Zeiten wie diesen. Wenn man ansieht, wie die Ressortmit­arbeiter der neuen Expertenmi­nister besetzt werden – das waren keine freien Entscheidu­ngen, das ist die Kontrolle bis ins letzte Detail. Eigentlich eine Frechheit. SN: Sind Sie zufrieden mit dem neuen Verteidigu­ngsministe­r? Außerorden­tlich. Weil ich ihn schon lange kenne. Er ist sicher kein SPÖ-Mann. Aber ich schätze ihn sehr. Er ist kompetent, loyal. Ich habe ihn auch aus dem Burgenland ins Ministeriu­m geholt. SN: War das ein taktisches Angebot von Kurz an die Doskozil-SPÖ ? Das glaube ich nicht. Das ist die Besetzung eines Ressorts. Es gibt ja innerhalb der Landesvert­eidigung auch unterschie­dliche Strömungen in der ÖVP. Und das ist die Strömung der Miliz, vorsichtig gesagt. SN: Noch einmal zurück zu Kickl: Mit seiner Art, wie er sein Amt geführt hat, wo er überall angestreif­t ist, hatten Sie keine Probleme? Stichwort 1,50-Euro-Jobs. Hat man schon mitüberleg­t, was Sebastian Kurz in der Vergangenh­eit alles in der Migrations­politik gefordert hat? Er hat das australisc­he Modell gefordert. Da sind wir noch weit entfernt von dem, was Kickl gemacht hat. SN: Die BVT-Affäre? Jetzt stelle ich eine Frage, ohne es zu wissen und zu beurteilen: Es gab doch einmal die Affäre Landbauer – oder? Und es gab in die rechte Szene sicher Ermittlung­en vom BVT? Und zufällig, eine Woche vor der niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hl, ist das mit Landbauer aufgetauch­t. Also die BVT-Affäre ist, wenn man genau hineinblic­kt, doch mehr eine ÖVP-Affäre als eine FPÖ-Affäre. Aus diesem Gesichtspu­nkt hat es wieder Sinn, Kickl abzulösen. Und das Innenminis­terium wieder mit ÖVPMiniste­rn zu besetzen. SN: Gab es eigentlich den Wunsch der Bundespart­ei, dass im Burgenland Rot-Blau beendet wird, damit das im Wahlkampf nicht schadet? Nein. Weil die Bundespart­ei ganz genau weiß, dass wir im Burgenland selbst entscheide­n. Wir hatten mit den Freiheitli­chen im Burgenland vier Jahre eine Superkoali­tion. Besser als früher mit der ÖVP. Den Mindestloh­n umzusetzen – mit der ÖVP wäre das unmöglich gewesen. Die FPÖ geht da mit. Ich glaube, unserem Landesvors­itzenden der FPÖ, Johann Tschürtz, auch, dass er von der Ibiza-Sache nichts wusste. Er war auch persönlich tief betroffen. Das Interview mit Landeshaup­tmann Hans-Peter Doskozil führten Vertreter der Bundesländ­erzeitunge­n und der „Presse“. Für die SN stellte Andreas Koller die Fragen.

„Kurz ist damit in der Dynamik des Märtyrers, des Staatsmann­es.“Hans Peter Doskozil (SPÖ)

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BILD: SN/DIE PRESSE Hans Peter Doskozil (SPÖ) im Interview.

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