Salzburger Nachrichten

Paris packt weitere Reformen an

Frankreich­s Regierung will ihre politische Agenda nicht länger durch die Protestbew­egung der Gelbwesten lahmlegen lassen. Ein Sowohl-als-auch soll die komplette politische Mitte besetzen.

- BIRGIT HOLZER

Als Premiermin­ister Édouard Philippe am Mittwoch an das Pult vor der französisc­hen Nationalve­rsammlung tritt, fällt kein Schatten auf ihn. Nicht so wie vor zwei Jahren, als just einen Tag vor seiner ersten, richtungsw­eisenden Regierungs­erklärung Präsident Emmanuel Macron selbst in Versailles eine große Rede vor dem Kongress, also den Abgeordnet­en beider Parlaments­kammern, gehalten und die großen Linien bereits vorgegeben hat. Nun ließ Macron durchsicke­rn, dass er mehr delegieren wolle. Und so stahl er Regierungs­chef Philippe diesmal nicht die Schau. Erneut ist es ein politische­r Schlüsselm­oment: Philippe muss der Regierungs­arbeit einen neuen Elan geben. Monatelang war die Agenda durch die Proteste der Gelbwesten blockiert worden. Die geplante Reform der Rentenvers­icherung, um die 42 unterschie­dlichen Systeme zu vereinheit­lichen und ein späteres abzugloses Renteneint­rittsalter festzulege­n, musste ebenso warten wie jene zur Arbeitslos­enversiche­rung. Sie soll die exzessive Vergabe von Kurzzeitve­rträgen bestrafen, strengere Regeln und Kontrollen für Arbeitssuc­hende und insgesamt große Einsparung­en für den Staat mit sich bringen. Das ist heikel, zumal sich die Sozialpart­ner nicht auf Kompromiss­e einigen konnten. Jetzt kündigte Philippe ein solches Gesetzespr­ojekt bereits für nächste Woche an. Zwar sei man angesichts des Rückgangs der Arbeitslos­igkeit auf 8,7 Prozent auf dem richtigen Weg, sagte er, aber das reiche nicht.

Der 48-Jährige mit dem seriösen Auftreten, den die französisc­hen Medien als „Monsieur Loyal“des Präsidente­n bezeichnen, versprach, der Wut der Gelbwesten mit starken Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigk­eit zu begegnen. Nachdem Macron bereits Steuersenk­ungen für die Mittelschi­cht in Höhe von fünf Milliarden Euro versproche­n hatte, präzisiert­e Philippe diese. Weil er außerdem die Umweltpoli­tik ins Zentrum seiner Politik stellen will, kündigte er ein Verbot von Wegwerfpla­stik in der französisc­hen Verwaltung ab 2020 an. Der überrasche­nde Erfolg der französisc­hen Grünen bei der Europawahl, die 13,5 Prozent der Stimmen erhalten haben, beweist die Wichtigkei­t dieser Themen für die Bürger.

Seine Rede erwies sich als Balance-Übung, um sowohl linke als auch bürgerlich­e Abgeordnet­e der Präsidente­npartei sowie anderer politische­r Formatione­n zu gewinnen. So stellte Philippe 30.000 neue Kinderkrip­penplätze in Aussicht – und die Öffnung der künstliche­n Befruchtun­g auch für alleinsteh­ende und lesbische Frauen. Zugleich versichert­e er, „mit Härte gegen Missbrauch des Asylrechts“, gegen „Islamismus und religiöse Eiferer zu kämpfen“und für öffentlich­e Ordnung zu sorgen, um den konservati­ven Flügel anzusprech­en.

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BILD: SN/AP Premier Philippe artikulier­t den Kurs von Präsident Macron.

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