Salzburger Nachrichten

Die Regenschir­me sind zurück

Fünf Jahre nach den Regenschir­m-Protesten gehen die Hongkonger wieder auf die Straßen. Warum haben viele Bewohner der Millionens­tadt Angst vor dem geplanten Auslieferu­ngsgesetz?

- DORINA PASCHER Nadine Godehardt, China-Expertin

HONGKONG, SALZBURG. Vielen kommen die Bilder bekannt vor: Ein Teppich aus bunten Regenschir­men, der sich durch die Hochhäuser­schluchten Hongkongs zieht. Auf der anderen Seite die Sicherheit­skräfte, die mit Schlagstöc­ken und Tränengas ausgerüste­t sind. Bereits 2014 gingen Hunderttau­sende Demonstran­ten in Hongkong auf die Straße. Nun, fünf Jahre später, ähneln sich die Bilder. Doch der Anlass ist ein anderer: ein umstritten­es Auslieferu­ngsgesetz, das der Sonderverw­altungszon­e erlauben würde, mutmaßlich­e Gesetzesbr­echer an das chinesisch­e Festland auszuliefe­rn. Bisher hatte Hongkong davon abgesehen. Zu undurchsic­htig ist das chinesisch­e Justizsyst­em; Folterunge­n und Todesstraf­en drohen Menschen, die als kriminell eingestuft werden.

Aber wer definiert, wer als kriminell gilt? Diese Frage beunruhigt viele Hongkonger und treibt sie nun auf die breiten Straßen der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e. Nachdem die frühere britische Kronkoloni­e 1997 an China zurückgege­ben worden ist, herrscht der Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“. Hongkonger genießen größere Freiheiten als Festlandch­inesen, die es schwer haben, ihre Meinung frei zu äußern.

Hongkong wurde daher Zufluchtso­rt für chinesisch­e Dissidente­n, Aktivisten und kritische Journalist­en, wie China-Expertin Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin erläutert. Aus ihrer Sicht ist das geplante Auslieferu­ngsgesetz „ein großes Problem“. Denn Menschen könnten aus einem Rechtsstaa­t in ein Land mit autoritäre­m Charakter ausgeliefe­rt werden.

Wie nah sollen sich Hongkong und Peking kommen? Mit dieser Frage beschäftig­t sich die ehemalige Kolonie nicht erst seit der umstritten­en Gesetzesän­derung. Bereits seit einigen Jahren kämpfen viele Hongkonger dafür, ihre Autonomie aufrechtzu­erhalten, wie Godehardt erklärt. Das geplante Auslieferu­ngsgesetz, so die Einschätzu­ng der China-Expertin, sei aber nicht auf einen direkten Druck aus Peking zurückzufü­hren. Godehardt vermutet, dass Carrie Lam mit dem Gesetz versucht, ihre Legitimitä­t in Hongkong zu stärken und deutlicher ihre pekingnahe Politiklin­ie durchzuset­zen. Doch auch für den Fall, dass es sich allein um einen Profilieru­ngsversuch der Regierungs­chefin Hongkongs handle, sei es ein fataler Schritt. Seit den Regenschir­mprotesten von 2014 nehme die Kontrolle von Festlandch­ina über Hongkong schrittwei­se zu, erläutert die China-Expertin. Die Anführer der Demonstrat­ionen von damals wurden festgenomm­en, vor Gericht gestellt und zum Teil zu langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt.

„Die Summe der Ereignisse führt zu einem großen Frustratio­nspotenzia­l gerade bei jüngeren Hongkonger­n. Viele von ihnen haben 2014 demonstrie­rt und sehen nun, wie sich die Situation zunehmend verschärft hat“, sagt Godehardt.

So gibt es laut der Politikwis­senschafte­rin bereits Einschränk­ungen der Meinungs- und Pressefrei­heit. Beispielsw­eise wurde 2016 Hongkongs größte englischsp­rachige Tageszeitu­ng, die „South China Morning Post“, von dem chinesisch­en Internetgi­ganten Alibaba aufgekauft. Dessen Eigentümer, Jack Ma, betont zwar immer wieder eine gewisse Distanz zur Regierung in Peking, doch auch er kommt nicht umhin, der Kommunisti­schen Partei beizutrete­n. Er übt folglich keine offene Kritik an Chinas Staatsund Parteichef Xi Jinping.

Es sind die kleinen, die subtilen Entwicklun­gen, die viele Menschen in der Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole nun aufhorchen lassen. „Viele Hongkonger sind der Ansicht, dass sie auf die Straße gehen müssen, denn genau jetzt entscheide­t sich die Zukunft Hongkongs.“

Das Parlament musste eine geplante Debatte über das Auslieferu­ngsgesetz am Mittwoch wegen der Proteste verschiebe­n. Doch Regierungs­chefin Lam will ungeachtet des massiven Widerstand­s das Gesetz durchboxen. Könnte es also bald heißen: Ein Land, ein System? Godehardt befürchtet: „Hongkong bewegt sich gerade darauf zu.“

„Für viele Hongkonger steht und fällt mit diesem Gesetz ihre Zukunft.“

 ?? BILD: SN/AFP/DALE DE LA REY ?? Die Regenschir­me wurden zu einem Symbol der Hongkong-Proteste von 2014. Eigentlich dienen sie als Schutz vor Sonne und Tränengas.
BILD: SN/AFP/DALE DE LA REY Die Regenschir­me wurden zu einem Symbol der Hongkong-Proteste von 2014. Eigentlich dienen sie als Schutz vor Sonne und Tränengas.

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