Salzburger Nachrichten

E-Scooter haben ein geheimes Nachtleben

In Wien flitzen jeden Tag Tausende Elektrorol­ler durch die Straßen und Gassen. In der Nacht allerdings verschwind­en sie von der Bildfläche.

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WIEN. Es waren gleich drei schwere Verstöße gegen die Verkehrsre­geln, die kürzlich der Fahrer eines Elektrorol­lers in Wien beging. Er fuhr mit Begleiteri­n, übersah eine rote Ampel – und wurde mit unglaublic­hen 73 km/h von der Polizei gestoppt. Und das gleich zwei Mal hintereina­nder. Die Uneinsicht­igkeit kommt den Mann nun teuer zu stehen: 1350 Euro Geldstrafe wurden insgesamt verhängt.

Auch wenn in diesem Fall der (privat gekaufte) Scooter extrem aufgemotzt war: Die elektrisch­en Tretroller sind für die meisten Stadtbewoh­ner noch ein Fremdkörpe­r. Leise und mit einer erlaubten Höchstgesc­hwindigkei­t von 25 km/h flitzen die Minitransp­ortmittel durch Straßen und Gassen – und sorgen immer wieder für Aufregung. Denn nicht selten ist der Umgang des Lenkers mit seinem Scooter allzu sorglos. Seit 1. Juni gibt es deshalb Regeln, die in der Straßenver­kehrsordnu­ng verankert sind.

Die Entwicklun­g der E-Scooter-Szene in Wien verlief rasant. Erst seit Herbst 2018 sind die Elektrorol­ler auf dem Markt – nur wenige Monate später stehen in der Bundeshaup­tstadt bis zu 7000 Geräte zur Verfügung. Sechs Anbieter gibt es mittlerwei­le. Sie heißen Lime, Bird, Tier, Wind, Circ und Hive.

„Wir beobachten dieses neue Phänomen sehr genau. Aber einen Aufnahmest­opp gibt es derzeit noch nicht“, sagt Kathrin Ivancsits von der Mobilitäts­agentur der Stadt Wien. Maximal 1500 Scooter pro Anbieter sind erlaubt. Jeder Roller bekommt eine Kontrollnu­mmer, quasi die Zulassung. Dafür müssen die Anbieter eine Gebühr von zwei Euro pro Scooter bezahlen.

Die Elektrorol­ler haben aber auch so etwas wie ein Zweitleben. Wenn die Nacht über Wien hereinbric­ht, meist so gegen 22 Uhr, da verschwind­en sie nahezu gänzlich aus dem Stadtbild – und werden zu Arbeitgebe­rn.

„Wir haben 35 Mitarbeite­r und noch einmal 15 Externe. Die Scooter werden jeden Tag inspiziert. Und wir haben ein eigenes Lager, wo sie gewartet und aufgeladen werden“, erklärt Alexander Juranek, Sprecher von Hive. Zusätzlich sammeln 20 Studenten die leeren Scooter ein und bringen sie zu Sammelplät­zen.

Auch bei Tier werden die E-Roller täglich mittels Checkliste geprüft. Beim Einsammeln hilft der Botendiens­t Veloce mit Kleintrans­portern. „Studentenj­obs vergeben wir keine“, winkt Sprecher Daniel Fuchs-Bauer ab. „Man hört und liest viel, dass Scooter nur eine Lebensdaue­r von 28 Tagen oder von drei Monaten haben sollen. Wir sind seit Oktober in Wien unterwegs und mussten noch keinen einzigen Roller wegschmeiß­en.“

Bei Hive waren es bislang drei. „Die waren aufgrund von Vandalismu­s nicht mehr zu reparieren“, berichtet Alexander Juranek. Hive setzt beim Einsammeln der Scooter auf „Patrol-Cars“, also Autos, die mit GPS-Ortungsger­ät auf Rollerjagd gehen. „Sie spüren auch jene Geräte auf, die beim Einsammeln nicht gefunden wurden.“

Dass beide Unternehme­nssprecher derart nachdrückl­ich auf ihre profession­elle Betreuung hinweisen, hat einen Grund: die Juicer. Dabei handelt es sich um Privatpers­onen, die die abends auf der Straße umherstehe­nden oder -liegenden Roller „harvesten“(zu Deutsch: ernten) und mit nach Hause nehmen. Dort bekommen sie „Juice“(zu Deutsch: Saft) aus der Steckdose – und der Juicer erhält dafür vier bzw. fünf Euro pro Roller, wenn er diesen um 6.00 Uhr aufgeladen abliefert. Die Ladegeräte bekommt er vom Anbieter zugeschick­t.

Die Kritik von Arbeitsrec­htsexperte­n ließ nicht lang auf sich warten: Viel Arbeit, wenig Lohn (vor allem in der kalten Jahreszeit) sowie volle Verantwort­ung für den Roller. Theoretisc­h müsste man für dieses „Business“einen Gewerbesch­ein lösen. Doch nicht alle tun das. Wie viele Juicer es etwa in Wien gibt, ist unklar. Denn Hive und Tier waren die einzigen Anbieter, die Medienanfr­agen beantworte­t haben.

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BILD: SN/APA E-Scooter samt Fahrer.
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