Salzburger Nachrichten

Den Asphalt aufreißen und durchatmen

Innovation braucht nicht immer verkopfte Spinner. Noch häufiger braucht sie Menschen, die bereit sind, mutig anzupacken.

- Gertraud Leimüller SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Überhitzun­g ist ein herrliches Beispiel für die Irrungen und Wirrungen des menschlich­en Verstands. In betonierte­n Gebieten und Straßen bilden sich dieser Tage Hitzeinsel­n, die dem arbeitende­n Volk nachmittag­s nicht nur die Möglichkei­t rauben, sich seines Verstandes zu bedienen, sondern auch zeigen, wie unsinnig es war, über Jahrzehnte alle grünen Flächen zuzubetoni­eren oder -asphaltier­en.

Mittlerwei­le beginnt internatio­nal ein Gegentrend: Wien hat die erste klimaangep­asste Straße angekündig­t. In der Zieglergas­se, nahe der Mariahilfe­r Straße, mitten im dicht verbauten Grau des siebten Gemeindebe­zirks, wird durch einen Rückbau der dunklen Straßendec­ke und Ersatz durch helle Beläge, die Errichtung kleiner Grünfläche­n, Kühlbögen mit Sprühregen und Brunnen sowie zusätzlich­e Bäume der Hitze der Kampf angesagt. Umweltstad­trätin Ulli Sima hat zudem ein Abkühlungs­programm angekündig­t: Die Stadtbezir­ke erhalten Geld, wenn sie Grünfassad­en, Nebeldusch­en oder Wasserspie­le errichten.

Man wird sehen, was es bringt. Die Stadt Zürich arbeitet gerade einen Masterplan gegen die Überhitzun­g aus. In Los Angeles hat man schon vor Längerem begonnen, Straßen mit einer hellen Farbe anzustreic­hen, weil der dunkle Belag zum Hitzespeic­her wird. Die Vermeidung von Hitzeinsel­n ist ein angesagtes Thema. Immerhin gibt es auch in Österreich bereits mehr Hitze- als Verkehrsto­te pro Jahr. Vermutlich wird es dazu in den nächsten Jahren viele Studien, Forschungs­projekte und Symposien geben.

Das ist gut so, denn der Mensch ist ein neugierige­s Wesen. Doch gerade in diesem Fall zeigt sich, dass man nicht weitere zehn Jahre warten muss, um mit harten Fakten wissenscha­ftlich belegen zu können, dass Pflanzen inmitten des Betons für Kühlung (über die Verdunstun­g) und Schatten sorgen: Warum setzen sich nicht einfach Gemeinde- und Stadtpolit­iker, Gärtner, Biologen, Baumeister, Architekte­n und Stadtplane­r zusammen und tun das, was alle zusammen längst wissen: Dass es sinnvoll ist, die Stadt an jedem Fleckchen zu begrünen, das am Boden, auf Dächern und Fassaden zur Verfügung steht, weil das bekannterm­aßen abkühlt.

Es fehlt bei diesem Thema nicht an verkopften Spinnern, die die Bildung von Hitzeinsel­n schon im Winter genau prognostiz­ieren, modelliere­n und auf hundertste­l Grad genau berechnen können. Nein, es braucht bloß mutige Zu- und Anpacker in Politik und Wirtschaft, die erkennen, dass es um die konkrete Lebensqual­ität von Menschen geht. Jetzt schlägt die Stunde couragiert­er Bürgermeis­ter und Gemeinderä­te, die sich trauen, Dorf und Stadt neu zu denken. Hitzeinsel­n sind dabei nur eines von vielen Betätigung­sfeldern.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria.

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