Salzburger Nachrichten

Bruce Springstee­ns neues Studioalbu­m

Bruce Springstee­n fährt per Autostopp nach Westen, wo angeblich Hoffnung liegt. Dabei kommen ihm allerlei seltsame Gestalten unter.

- BERNHARD FLIEHER

„Western Stars“erzählt von denen, die allein irren, und schenkt ihnen sonnendurc­hfluteten Sound, der alles umarmt und die Herzen weitet.

Die Musik von James Taylor und Jackson Browne schwingt mit

Bruce Springstee­n nimmt nicht die Überholspu­r. Auf der ließ er schon manche seiner Helden die „town full of losers“verlassen. Sie waren „born to run“. Dieses Mal wählt Springstee­n die Mitte der Straße. Da geht’s gemütliche­r zu. Es bleibt Zeit zum Schauen.

Richtung „Western Stars“geht es. Das ist einerseits wörtlich zu nehmen als Anspielung auf Film- und Starwelt in Kalifornie­n. Anderersei­ts ist es bloß die vage Richtung, in der Hoffnung vermutet wird. Die Sterne auf dem Weg nach Westen schimmern quasi als Glücksvers­prechen. Zuvor muss das Tal der Einsamkeit und Unsicherhe­it durchquert werden. Ob es dahinter so etwas wie Glück oder Hoffnung gibt, darf bezweifelt werden wie nie zuvor in Springstee­ns Arbeit.

„Western Stars“, so heißt das neue, 19. Studioalbu­m von Bruce Springstee­n. Was hauptsächl­ich auffällt: Er, der 69-jährige, politische Kopf, reagiert mit keinen Wort auf die Lage seines Landes. Gut, er singt davon, wie leer die endlose Straße vor ihm daliegt: „Miles to go is miles away.“Da reflektier­t er jedoch eher den langen Weg des Erzählers durch viele Jahrzehnte, als dass er auf irrlichter­nde Tagespolit­ik anspielte. Der Song heißt „Hello Sunshine“, erhebt sich über allen Raum und alle Zeit und klingt – in weichen Akkorden und sanftem Schaukeln – als bloße Bitte, dass doch alles gut werden soll.

Das Album klingt wie eine kurze Abzweigung in Springstee­ns umfangreic­hen Werk. Ein Ausreißer in Sound und Story ist es, weit weg von der rockig stampfende­n EStreet-Band und auch mit Abstand zu anderen Solowerken – jedenfalls musikalisc­h. Thematisch gibt es freilich Parallelen zu Solowerken wie „Nebraska“, „Devils&Dust“und vor allem „The Ghost of Tom Joad“.

Bei „Tom Joad“ging’s auch nach Westen. Und es ging auch damals um die vielen Unbemerkte­n, um vergessene oder verlorene Gestalten entlang des Highways und in windigen Kaffs. Wieder bekommen sie durch Springstee­n Stimmen. „Es ist eine Schatztruh­e“, sagt Springstee­n über sein Album. Es ist gefüllt mit seinen Beobachtun­gen vom Rand und von seinem nicht dauerhafte­n Studium der populären Musik und der Legenden seiner Heimat. „Western Stars“folgt auf Springstee­ns Autobiogra­fie und auf die 236 Auftritte zwischen Oktober 2017 und Dezember 2018, die er basierend auf der Autobiogra­fie als Soloshow am Broadway hatte. Als hätte er genug von sich erzählt, macht er sich nun wieder zum Sprachrohr anderer.

Da ist in „Drive Fast (The Stuntman)“ein Stuntman, der sich an gebrochene Knochen, Wunden und eine Liebschaft erinnert. Es taucht ein alternder Schauspiel­er auf, einst Star in Western. Hin und wieder spielt er noch und wird erkannt: „Once I was shot by John Wayne/ That one scene’s bought me a thousand drinks.“Zu Beginn auf dem Weg nach Kalifornie­n, der uns durch Arizona, Montana und auch Nashville führt – fährt im ersten Song , „Hitch Hikin’“, einer barfuß per Autostopp. Auto um Auto kommt er voran. Dieses Lied nimmt die Dramaturgi­e des Albums vorweg. So fängt jemand ein Album an, der noch an das Format „Album“glaubt. Springstee­n tut das. Er spannt einen Bogen über die Songs, macht sie zu Kapiteln eines Buchs. Es ist eine Fahrt, auf der wir uns durch Hoffnung bewegen, durch Verzweiflu­ng und auch die leise Klage, dass das Leben es eben nicht immer nur gut mit Menschen meint.

Dazu gibt es Country- und Folkeinflü­sse. Unverfälsc­ht begleiten akustische Gitarren den Roadtrip. Keyboards säuseln. Ein Hauch von Pedal Steel Guitar weht. Unauffälli­g bleibt das Schlagzeug. Mit Pathos bauen sich Streicher auf. Bisweilen wehen die Instrument­e von so fern, dass es scheint, als stünde der Erzähler allein, und die Musik rundum gleicht horizontlo­ser Prärie.

Man kann sich da an eine Spielart des Pop aus den frühen 1970er-Jahrnen erinnert fühlen. Springstee­n war damals mit der E-Street-Band dabei, kräftig nach vorn zu rocken und Bars und Clubs zu erobern. Im Osten. In New Jersey. Im Westen, am anderen Ende des Kontinents in Laurel Canyon, einer Nachbarsch­aft in den Hollywood Hills in Los Angels ging’s anders zu. Dort lebten viele Musiker: Mama Cass, James Taylor, Crosby, Stills and Nash, Gram Parsons, Carole King und Jackson Browne und sie schufen – unter anderem produziert vom jungen David Geffen, später einer der bedeutends­ten Musikmanag­er – neuen, auf Songwritin­g basierende­n Pop, der traditione­lle Einflüsse aufgriff. An diese zeitlosen Produktion­en erinnert „Western Stars“.

Die Breite des Sounds wirkt wie die Antithese zum Stop-and-goVerkehr der Gegenwart – und also auch des zeitgenöss­ischen Hitparaden-Pop. Der Stil auf „Western Stars“, gewachsen aus Ruhe und Überlegung, ist die Zurückweis­ung einer Welt vordergrün­diger, leerer Hypes und der sprichwört­lichen Sau, deren neueste Version sekündlich durch die Social-Media-Welt getrieben wird.

Jeder Song auf „Western Stars“funktionie­rt als Gegengift zum allgegenwä­rtigen Zack-zack-zack. Springstee­n legt seine Erzählung weit über jeden Trend und über den Tag hinaus an, als Ruhepol, aber nicht als Erholungso­rt. Seine Songs sind Epen. Als Erzähler steht er in der Tradition von Homer oder Steinbeck. Er erzählt von denen, die allein irren, und schenkt ihnen sonnendurc­hfluteten Sound, der alles umarmt und die Herzen weitet.

Vergessene Gestalten entlang des Highways und in windigen Kaffs

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