Schlupflöcher für findige Wahlstrategen
Wählerstimmen kosten Geld. Die heimischen Parteien sind sehr kreativ, wenn es darum geht, die erlaubten Wahlkampfkosten zu überschreiten. Oft blüht ihnen nicht einmal eine Strafe.
WIEN. Im Rechnungshof (RH) glühen die Taschenrechner. Die Prüfinstanz will noch vor der Wahl im Herbst die Rechenschaftsberichte der Parteien für 2017 veröffentlichen. Die Abteilungen wurden auf Wunsch von RH-Präsidentin Margit Kraker aufgestockt.
Die in den Berichten mitgelieferten Wahlkampfkosten der Parteien bleiben ein Buch mit sieben Siegeln, in das auch der Rechnungshof nur bescheiden und mit großer Verspätung Einblick nehmen darf.
Die Parteien müssen einen Vermerk in ihren Rechenschaftsberichten an den RH aufnehmen, dass sie die Wahlkampfkostenbeschränkung von sieben Millionen Euro eingehalten haben. Sie müssen nicht aufschlüsseln, wie sie das Geld ausgegeben haben. Die Gesamtsumme muss die Partei nur nennen, wenn sie das Limit überschritten hat.
Mathias Huter weiß, wie schwer es ist, an detaillierte Informationen über Wahlkampfeinnahmen und -ausgaben der Parteien zu kommen. Als Generalsekretär des Forum Informationsfreiheit schlüsselt er Parteifinanzen auf der Seite www.parteispenden.at auf. In der aktuellen Debatte zu den Wahlkampfkosten empfiehlt er einen Blick ins Ausland: „In der Slowakei mussten Parteien bei der EU-Wahl und den Präsidentschaftswahlen gläserne Konten verwenden.“Der Wähler konnte jede Transaktion nachverfolgen. Die Konten liefen übrigens über die Tochterbank eines österreichischen Geldinstituts. Österreich ist von gläsernen Parteikassen noch weit entfernt.
Derzeit darf der RH die Bücher der Parteien inhaltlich nicht prüfen. Vor allem die großen Parteien haben mit Vorschlägen in diese Richtung wenig Freude. Der RH erhebt derzeit nur die Vollständigkeit des im Folgejahr vorgelegten Berichts. Bei Auffälligkeiten (z. B. jemand scheint auf der Spendenliste auf, nicht aber im Rechenschaftsbericht der Partei) kann der RH um Stellungnahme bei der Partei anfragen und die Sache an den unabhängigen Parteientransparenzsenat im Bundeskanzleramt übermitteln.
Geldbußen wegen Wahlkampfkostenüberschreitung legt auch dieser Juristensenat fest. Die ÖVP überschritt 2017 das Limit um sechs Millionen Euro, die FPÖ um 3,7 Millionen, die SPÖ nur um 400.000 Euro. Dies wurde durch Medienanfragen bekannt, andernfalls wäre es erst diesen Sommer vom RH veröffentlicht worden. Der ÖVP droht eine Geldbuße von einer Million Euro für die Überschreitung im Jahr 2017.
Für den Parteienfinanzierungsexperten Hubert Sickinger ist die große Verspätung, mit der die Informationen öffentlich werden, „untragbar“. Er begrüßt den Vorstoß der RH-Präsidentin, dass Parteien drei Monate nach der Wahl einen Bericht über ihre Wahlkampfausgaben abliefern müssen.
Sickingers Vorschlag geht noch weiter: „Die Parteien sollten schon zwei Wochen vor der Wahl eine Abrechnung ihrer Wahlkampfkosten veröffentlichen.“Und bei dramatischen Überschreitungen solle es dramatische Sanktionen geben. Derzeit würden Geldbußen von den Parteien einkalkuliert. Die ÖVP habe dadurch, dass sie bei der Wahl deutlich Stimmen gewonnen habe, ein jährliches Plus von zweieinhalb Millionen aus der staatlichen Parteienförderung. Sickinger: „Da müsste es eine ,Abschöpfung der Bereicherung‘ geben, weil sonst ist das ein logisches Investitionskalkül.“
Das 2002 beschlossene Parteiengesetz hat formale Schwächen. Man kann derzeit Geldbußen illegalerweise, aber straffrei umgehen, indem man nicht meldet. Nimmt eine Partei den Vermerk, dass sie die Sieben-Millionen -Kostengrenze überschritten hat, in ihren Rechenschaftsbericht nicht auf, ist keine Sanktion vorgesehen. Auch wenn eine Partei gar keinen Rechenschaftsbericht abliefert, gibt es keine Sanktionen. „Es gibt durchaus etablierte Parteien, die sich das erlaubt haben“, sagt Sickinger.
Da die Wahlkampfkostenbeschränkung erst für die 82 Tage vor der Wahl gilt (heuer: ab 9. Juli), fällt etwa die laufende Vorwahl-Plakatkampagne der ÖVP noch gar nicht unter das Limit. Es kommt laut Insidern auch vor, dass Parteien Kosten vorziehen, indem sie teure Wahlkampfberater vorab bezahlen.
Auch Konstruktionen über Personenkomitees, die Spenden lukrieren und außerhalb des Wahlkampfkostenlimits Plakate finanzieren, kamen in vergangenen Wahlkämpfen zur Anwendung.
Gesetzliche Lücken werden gern genutzt: Der FPÖ-Klub schaltete 2013 aus Klubmitteln Inserate und versandte einen direkt adressierten Brief an 6,3 Millionen Wahlberechtigte. Die unerlaubte Sachspende des Parlamentsklubs an die Partei wurde einfach nicht im Rechenschaftsbericht angegeben. Da sich erstens der Geldwert der Spende formal nicht beziffern ließ und zweitens die Spende nicht gemeldet wurde, konnte der Transparenzsenat aus formalen Gründen keine Geldbuße verhängen. Dabei wäre eigentlich eine Geldbuße bis zum Dreifachen möglich gewesen. Eine zentrale Großplakatkampagne mit dem SPÖ-Parlamentsklub im Impressum wurde im Wahlkampf 2013 als Spende des SPÖ-Klubs zugunsten der Partei vom Klub geschaltet und wurde erst in letzter Sekunde doch noch von der Partei bezahlt.
Sickinger fordert grundsätzlich einen Tatbestand illegale Parteienfinanzierung im Strafrecht. Dann könnte anders als heute die Staatsanwaltschaft ermitteln, Konten öffnen und Zeugen unter Wahrheitspflicht vernehmen.
Immerhin: Eine bisher von allen Regierungsparteien gern genutzte Umgehung des Wahlkampfkostenlimits wird es heuer nicht geben: Regierungsinserate, die auf die Leistungen der Regierungsparteien verweisen. Und diesmal werden auch das Kanzleramt und die Ministerkabinette nicht wie in früheren Jahren Schaltstellen des Wahlkampfs sein.
„Überschreitung als logisches Kalkül.“Hubert Sickinger, Politikwissenschafter