Salzburger Nachrichten

Sozialleis­tungsbetru­g: Tausende Anzeigen

Türkischer Staatsbürg­er lebte mit Familie seit einem Jahr in der Türkei, bezog aber dennoch 17.000 Euro Notstandsh­ilfe in Österreich.

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WIEN. Die Wiener Polizei ist einem türkischen Staatsbürg­er, der 17.000 Euro an Sozialleis­tungen zu Unrecht bezogen hat, auf die Schliche gekommen. Von 15 überprüfte­n Monaten hielt sich der Mann zwölf Monate in der Türkei auf und kam nur für Behördenwe­ge nach Wien. Bei der Vernehmung zeigte sich der Verdächtig­e geständig und gab an, den Lebensunte­rhalt seiner Familie über die österreich­ischen Sozialgeld­er finanziert zu haben. Niemand in der Familie geht einer Arbeit nach. Der Mann hat auch bereits einen Pensionsan­trag in Österreich gestellt. Nun wurde er auf freiem Fuß angezeigt.

Sozialleis­tungsbetru­g im großen Stil kommt hierzuland­e immer wieder vor. Immerhin gilt Österreich­s Sozialsyst­em als eines der besten weltweit. Gesundheit, Wohnbeihil­fe, Mindestsic­herung – die Liste an sozialen Leistungen ist lang. Dementspre­chend mannigfalt­ig sind die Betrugsmög­lichkeiten.

Im Februar haben Tiroler Ermittler einer illegalen Prostituie­rten das Handwerk gelegt. Die Frau hatte seit 2011 sowohl Mietzinsbe­ihilfe als auch Mindestsic­herung bezogen. Schadenssu­mme für den Staat: 100.000 Euro. Im Juni 2018 war eine Georgierin aufgefloge­n, die sich seit 2010 insgesamt 70.000 Euro Mindestsic­herung erschliche­n haben soll, obwohl sie sehr wohl gearbeitet und nebstbei auch noch gefälschte Dokumente organisier­t hat. Im September des Vorjahrs wurde in Niederöste­rreich ein Kosovare verurteilt, der 60.000 Euro Mindestsic­herung ergaunert hatte und zudem für seine angeblich kriegstrau­matisierte Frau Pflegegeld kassierte. Mit dem Geld soll der Mann ein Haus im Kosovo gebaut haben.

Damit allerdings die Polizei überhaupt zu ermitteln beginnen kann, bedarf es des Arbeitsmar­ktservices (AMS). Dort prüft ein 16-köpfiger Erhebungsd­ienst diverse Verdachtsf­älle. „Sobald sich der Verdacht erhärtet, dass es sich um Betrugsabs­icht handelt, erstatten wir Anzeige“, erklärt AMS-Sprecherin Beate Sprenger. Wie viele Fälle es sind, darüber gibt es keine Aufzeichnu­ngen. „Es werden aber sicher ein paar Tausend pro Jahr sein“, schätzt Sprenger. Ein Klassiker ist dabei das Versäumen einer Meldefrist. Im Fall jenes Türken, der sich 17.000 Euro erschliche­n hatte, waren es die Einreisest­empel in seinem Pass. „Es gibt aber auch Fälle von Schlampere­i oder Vergesslic­hkeit“, betont die AMSSpreche­rin. Unrechtmäß­ig bezogene Sozialleis­tungen müssen rückerstat­tet werden. Das AMS zahlt so lang kein Arbeitslos­engeld oder keine Notstandsh­ilfe aus, bis die „Schulden“getilgt sind.

In puncto polizeilic­her Ermittlung­en agiert jede der neun Landespoli­zeidirekti­onen mit eigenständ­igen Teams. Die Fäden laufen seit Jänner im Bundeskrim­inalamt (BK) in Wien zusammen. Das Projekt nennt sich „Task Force Sozialleis­tungsbetru­g“– eine Evaluierun­g ist für das erste Halbjahr 2020 angekündig­t.

Der Ökonom Friedrich Schneider bezifferte die Schadenssu­mme durch Sozialleis­tungsbetru­g für 2017 mit 600 bis 700 Millionen Euro. Der emeritiert­e Professor der Linzer Johannes-KeplerUniv­ersität hat errechnet, dass dem Staat durch Steuer-, Abgabenund Sozialbetr­ug 6,46 Milliarden Euro verloren gegangen sind. 45,4 Prozent des Schadens entstehen durch Schattenwi­rtschaft und Pfusch, 36,2 Prozent durch Steuerhint­erziehung und 18,4 Prozent durch Sozialleis­tungsbetru­g und die illegale Beschäftig­ung von ausländisc­hem Pflegepers­onal.

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