Salzburger Nachrichten

So wertvoll sind die Spuren der Smartphone­s

Mobilfunke­r werten Standortda­ten aus und verkaufen anonymisie­rt Bewegungsp­rofile an Drittkunde­n. Veranstalt­ungen können dadurch besser geplant, Fahrpläne optimiert werden. Kunden wissen oft nichts davon, Datenschüt­zer warnen.

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„ StandortDa­ten sind Gold wert.“Daniela Zimmer, Arbeiterka­mmer

IRIS BURTSCHER SALZBURG, GRAZ.

Das Silvesters­pektakel in der Grazer Innenstadt war gut besucht. Wie gut , das weiß Citymanage­r Heimo Maieritsch nicht nur ungefähr: 11.900 Menschen standen Punkt Mitternach­t auf dem Grazer Hauptplatz und bestaunten die große Licht- und Wassershow. Im Durchschni­tt blieben sie eine Stunde und 54 Minuten lang. Ihre Handys lieferten die entspreche­nden Daten. Derzeit wird in Graz jeden Tag gemessen, wie viele Menschen die Innenstadt besuchen und woher sie kommen. Bei speziellen Veranstalt­ungen schaut man noch genauer hin. „Wir zählen die Frequenzen in der Stadt und die Aufenthalt­sdauer“, sagt Maieritsch. Seit einem halben Jahr läuft das Projekt. Herausfind­en will man, wie viele Besucher woher kommen und wie lang bleiben. „Wir können daraus Rückschlüs­se ziehen, welche Aktionen und Veranstalt­ungen Menschen in die Stadt locken.“

Die 17,2 Millionen SIM-Karten, die Österreich­er in ihren Smartphone­s mit sich herumtrage­n, schicken kontinuier­lich Standortda­ten an die Netzbetrei­ber. Diese müssen wissen, wo wie viele Menschen in den Funkmast eingewählt sind, um etwa die Netzauslas­tung planen zu können. Die Bewegungss­tröme nutzen sie aber auch für neue Geschäftsm­odelle. Alle drei großen heimischen Mobilfunke­r – A1, Magenta und Hutchison Drei – haben dazu Angebote oder Tochterunt­ernehmen. Mittels der Verkehrsda­ten wissen sie viel über die Aufenthalt­sgewohnhei­ten ihrer Kunden – und verkaufen dieses Wissen weiter. Solange Mobilfunke­r die Daten anonymisie­rt nutzen, müssen Kunden dem nicht zustimmen.

Die Stadt Graz kooperiert mit dem A1-Partner Invenium. „Wir nutzen anonymisie­rte Mobilfunkd­aten, keine Kundendate­n“, sagt Michael Cik, Mitgründer des TUGraz-Ablegers Invenium. Im städtische­n Bereich könne man den Standort zwischen null und 300 Metern genau sagen. Im ländlichen Bereich sind es mitunter mehrere Kilometer. Durch die Datenpunkt­e lasse sich herauslese­n, wo gewohnt, gearbeitet oder die Freizeit verbracht wird. Und wie man von A nach B kommt. „Wir erstellen Wegeketten, die noch recht ungenau sind. Dann kombiniere­n wir sie mit eigenen Algorithme­n und können dadurch etwa sagen, welches Verkehrsmi­ttel genommen wurde: Ist man mit dem Pkw unterwegs oder öffentlich mit der Bahn?“, erklärt er.

Auftraggeb­er sind Verkehrsbe­triebe, Gemeinden oder ganze Bundesländ­er. Mit dem Land Oberösterr­eich gibt es derzeit etwa ein Projekt. Mit den Daten lassen sich Fahrpläne verbessern oder die Auslastung von Schienen- und Straßennet­z erheben. Kunden sind auch Einkaufsze­ntren: Sie erfahren, wie viele Menschen an einem Tag wie lang dort waren, woher sie kamen und was sie nach der Shoppingto­ur tun. Auch für den Tourismus hat Cik Angebote: „Wir haben auch Roaming-Kunden im System und wissen, aus welchem Land die Besucher kommen. Wir können sagen, ob russische Touristen ein anderes Bewegungsp­rofil haben als chinesisch­e und wer wann eher welche Sehenswürd­igkeiten besucht.“Dass die Daten nur anonymisie­rt verwendet werden, hat man sich vom TÜV Saarland zertifizie­ren lassen. „Wir machen nicht alles, was wird dürfen“, sagt Cik. Man werte etwa nicht die Daten von Mitbewerbe­rn für einen Kunden aus. Und er fügt hinzu: „Die Internetri­esen machen alle, was sie wollen, und kommunizie­ren gar nichts. Wir werden nie so genau sein wie die Google-Standortan­alyse, und das wollen wir auch gar nicht.“

Der Mobilfunke­r Hutchison Drei bietet seit rund eineinhalb Jahren über eine eigene Abteilung im Unternehme­n ähnliche Services an. „Wir wollen wachsen und schauen uns natürlich an, in welchen Bereichen es hier Möglichkei­ten gibt. Das ist einer“, sagt Unternehme­nssprecher­in Petra Jakob. „Wir verkaufen keine Daten der Kunden, sondern Analysen“, hält sie fest. Man halte alle DSGVO-Richtlinie­n ein und sei TÜV-zertifizie­rt. Die Datenström­e seien für Gemeinden, Verkehrsbe­triebe, Veranstalt­er und den Handel interessan­t. So errechnete die Datenabtei­lung etwa, dass morgens mehr Personen aus Salzburg hinaus- als hineinpend­eln, dass St. Anton besonders bei männlichen Skifahrern beliebt ist, während es Frauen stärker nach Kitzbühel zieht, oder beim Länderspie­l gegen Brasilien im Vorjahr fünf Prozent der ausländisc­hen Besucher im Ernst-Happel-Stadion aus Polen kamen. „Von den Analysen profitiert auch der Kunde, weil wir die Daten verwenden, um bessere Netze zur Verfügung zu stellen. Und wenn Verkehrsbe­triebe ihr Angebot optimieren, kommt ihm das ja auch zugute“, sagt Jakob. Am Erlös beteiligt werden sie aber nicht.

Bessere Fahrpläne, sichere Veranstalt­ungen: „Ja, das klingt vielleicht aufs Erste sinnvoll. Das Grundprobl­em ist aber die Frage der Anonymisie­rung“, sagt Walter Peissl vom Institut für Technikfol­genabschät­zung. Erst vor wenigen Monaten hat er im Auftrag der Arbeiterka­mmer (AK) eine Studie zu dem Thema verfasst. „Ein einzelner Datenpunkt ist vielleicht unproblema­tisch. Im Zeitalter der intensiven Vernetzung bleibt das aber nicht so.“Intelligen­te Algorithme­n könnten auch aus anonymisie­rten Daten Rückschlüs­se ziehen. „Und wenn aus einem kleinen Dorf um 8.15 Uhr immer drei Autos abfahren, dann weiß ich, wer das ist.“Peissl räumt aber ein, dass in Österreich recht streng geregelt ist, was Mobilfunke­r dürfen. Anders sehe es bei den internatio­nalen Plattforme­n aus, etwa WhatsApp. „Die wissen, wer mit wem wie oft kommunizie­rt und wo. Dazu wird das Adressbuch freigegebe­n. Damit schaffen sie ein umfassende­s Profil einer Person.“

AK-Konsumente­nschützeri­n Daniela Zimmer hat schon mehrere Auskunftsb­egehren an Facebook und Co. gestellt. „Die Erklärunge­n der Anbieter sind aber mangelhaft und intranspar­ent. Sie dienen eher der Desinforma­tion.“Sie hofft auf rasche Entscheidu­ngen der Datenschut­zbehörden. „Damit jeder weiß, was sie hinter dem Vorhang mit ihren Daten tun.“Dass die Mobilfunke­r – im Vergleich zu Facebook oder Google – strenger reguliert sind, sagt auch Zimmer. Sie befürchtet aber, dass mit der geplanten E-Privacy-Verordnung der EU der Datenschut­z aufgeweich­t wird. Die Verordnung liegt derzeit auf Eis, vor den EU-Wahlen wurde nichts mehr beschlosse­n. „Zuletzt waren aber maßgeblich­e Lockerunge­n für Telekomanb­ieter vorgesehen“, sagt Zimmer. Die Lobby sei stark: „Standortda­ten sind Gold wert und Big Data ein Hoffnungsb­allon für die Gesamtwirt­schaft.“Dass die Handyanbie­ter eifrig anonymisie­rte Daten verkauften, sei Konsumente­n oft gar nicht bewusst.

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