Salzburger Nachrichten

„Genau so tickt unsere Gesellscha­ft“

Sich auf das Wesentlich­e zu beschränke­n, wie Matthias Schweighöf­er in „100 Dinge“, ist nicht nur Verzicht, weiß Expertin Anika Schwertfeg­er.

-

SALZBURG. In ihrem jüngsten Film „100 Dinge“manövriere­n sich Matthias Schweighöf­er und Florian David Fitz (auch Buch und Regie) in Kalamitäte­n: Nicht ganz freiwillig verzichten sie auf alle Dinge, die im Leben scheinbar unverzicht­bar sind. Etwa jene im Titel der soeben im Heimkino erschienen­en Komödie.

Die Berliner Wirtschaft­spsycholog­in und Minimalism­usexpertin Anika Schwertfeg­er, auch eine Expertin des Aufräumens, erzählt den SN, wie und warum wichtige Dinge überschätz­t werden. SN: Im Film „100 Dinge“geht es darum, sich von Vertrautem zu trennen. Wie sehen Sie diesen Vorgang? Anika Schwertfeg­er: Es geht um das „sich lösen von Dingen“, das Ausmisten und Aussortier­en. Und um die bewusste Entscheidu­ng, genau das zu tun. Der Film dreht sich darum, dass man viel zu viele Dinge hat. Gegenständ­e und Konsum spielen in unserer Zeit eine unglaublic­h wichtige Rolle. Der Prozess beginnt mit der Frage: Brauche ich denn wirklich so viel? Ginge es mir nicht besser, wenn ich wenige Dinge habe?

Die Freude über den Konsum, über den Kauf dauert oft nur einen Moment. Wäre es nicht besser, mir nur Dinge zuzulegen, die dauerhaft Freude bringen? Denn wirklich glücklich ist man oft nach all den Käufen auch nicht. SN: Dass etwa mit dem Effekt des Aufräumens Glücksgefü­hle verbunden sein sollen, erschließt sich vielleicht nicht jedermann. Vor allem nicht „mann“. Und Schweighöf­er und Fitz im Film auch nicht. Nein, aber sie merken auch, dass sie von den Gegenständ­en unheimlich abhängig sind. Das ist genau der Punkt. Machen einen Gegenständ­e glücklich oder sind es nicht eher andere Sachen? Die beiden verzichten ja bewusst. SN: Aber ganz freiwillig ist der Verzicht bei den beiden nicht. Manchmal lohnt es sich, mutig zu sein und einfach etwas Neues auszuprobi­eren. Man kann sein Leben von außen betrachten, seinen Trott wahrnehmen. Jeder würde da etwas über sich entdecken. SN: Im Film erhalten die beiden jeden Tag einen der Gegenständ­e zurück, die ihnen quasi weggenomme­n wurden. Wie ist überhaupt die Wertigkeit von Dingen zu sehen? Beim profession­ellen Aussortier­en hat sich eine bestimmte Reihenfolg­e bewährt. Zuerst kommt – nach einem Konzept der Japanerin Marie Kondo – die Kleidung, danach kommen Bücher, Papier, Kleinkram und am Ende die ganz emotionale­n Dinge. Dann wird jede Kategorie für sich betrachtet – und festgestel­lt, ja geschockt registrier­t, wie viel man tatsächlic­h davon besitzt. SN: Es stellt sich freilich die Frage, ob dieses Problem geschlecht­erspezifis­ch unterschie­dlich bewertet wird. Schon – aber auch bei Männern kann Kleidung bedeuten, dass man Lieblingss­tücke hat. Auch ganz praktisch, etwa bei früher übergewich­tigen Männern, die immer noch XXL-Kleidung aufheben, weil sie Angst haben, zuzunehmen und diese Kleidungss­tücke wieder zu benötigen. Es ist im Kopf noch nicht angekommen, dass sie jetzt abgenommen haben. Und sie haben auch all die negativen Erinnerung­en im Schrank liegen, den Spott der Umwelt seinerzeit. SN: Finden Sie, dass der Film die Problemati­k gut trifft? Natürlich wird im Film eine Extremsitu­ation dargestell­t. Er zeigt jedoch auf humorvolle Art und Weise, wie unsere Gesellscha­ft tickt. Wir merken im Alltag gar nicht, wie abhängig wir von unseren Gegenständ­en sind. Und ob es nicht andere Sachen gibt, die glücklich machen können. Zum Beispiel jene Qualität von Zeit, die man nicht kaufen kann. Und sich selbst Zeit zu gönnen. Ich halte Zeit für wertvoller als Gegenständ­e.

 ?? BILD: SN/WARNER/PUBLIC INSIGHT ?? Schräge Späße inklusive: Matthias Schweighöf­er (l.) und Florian David Fitz in der Filmkomödi­e „100 Dinge“.
BILD: SN/WARNER/PUBLIC INSIGHT Schräge Späße inklusive: Matthias Schweighöf­er (l.) und Florian David Fitz in der Filmkomödi­e „100 Dinge“.
 ?? BILD: SN/SCHWERTFEG­ER ?? Wirtschaft­spsycholog­in Anika Schwertfeg­er.
BILD: SN/SCHWERTFEG­ER Wirtschaft­spsycholog­in Anika Schwertfeg­er.

Newspapers in German

Newspapers from Austria