Salzburger Nachrichten

Es ist wieder Zeit, für die Freiheit zu kämpfen In Ostmittele­uropa rollt der Bürgerprot­est

In der Slowakei tritt Zuzana Čaputová am Samstag das Amt als Präsidenti­n an. Der Aufschwung der Autokraten ist also zu bremsen.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Der neue Systemkonf­likt auf der Welt ist das Ringen zwischen Autokratie­n und Demokratie­n. Alarmieren muss uns die Aussage, dass derzeit nicht die Wortführer der Freiheit auf dem Vormarsch sind, sondern die politische­n Unterdrück­er.

In dem fern von uns liegenden Osten demonstrie­rt Chinas Regime mit dem Vorgehen gegen die Proteste in Hongkong gerade, was es von Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit hält, nämlich nichts. China ist heute eine staatskapi­talistisch agierende Parteidikt­atur. Es findet Anklang, wenn es sein Autokratie-Modell als Alternativ­e zur liberalen Ordnung des Westens anpreist.

In dem bis an Europa reichenden Osten zeigt das Russland von Präsident Wladimir Putin soeben, was es von Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit hält, nämlich nichts. Die gegängelte­n Medienleut­e müssen allen Mut mobilisier­en, um einen zu Unrecht inhaftiert­en Kollegen freizubeko­mmen. Doch den offiziell nicht genehmigte­n Jubel über diesen Akt von Zivilcoura­ge knüppelt die Polizei gleich wieder nieder. Russland hat sich zurückverw­andelt in eine Autokratie, in welcher der Kreml fast alle Fäden zieht. Dass Russland-Versteher diese als „gelenkte Demokratie“bezeichnen wollen, ist groteskes Geschwafel.

In unserem Nahen Osten entfernt sich die Türkei immer weiter vom Status eines EU-Beitrittsk­andidaten. Unter der Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist das Land am Bosporus von einer instabilen Quasi-Demokratie zu einem De-facto-Willkürsys­tem geworden,

das Journalist­en knebelt, sich die Justiz gefügig macht und nun sogar den Wahlprozes­s infrage stellt. Europa bleibt folglich der Hoffnungsa­nker für jene in der Türkei, die sich statt einer orientalis­chen Despotie eine rechtsstaa­tliche Demokratie wünschen.

Aber auch im Osten von EU-Europa vollzieht sich eine schleichen­de Aushöhlung demokratis­cher Freiheitsr­echte. Ausgerechn­et in Ländern wie Polen und Ungarn, den Vorreitern der Freiheitsr­evolution von 1989, demontiere­n die Regierende­n heute kritische Medien und unabhängig­e Justiz.

Das Freiheitss­treben der Menschen hat es schwerer denn je, weil die Unterdrück­er neue Machtmitte­l erlangt haben. In China kommt zur Panzer-Diktatur jetzt eine digitale Überwachun­gsmaschine­rie hinzu.

Die Freiheit ist in Gefahr geraten, weil den Autokraten im Osten mitunter die Demokraten im Westen entgegenar­beiten. So zuerst Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi, der mit seinen Interessen­kollisione­n und seiner „Telekratie“die Gewaltente­ilung in Italien aus den Angeln gehoben hat. So neuerdings USPräsiden­t Donald Trump, für den Deals mit Despoten offenbar mehr zählen als die Menschenre­chte.

Aber der Vormarsch der Autokraten lässt sich aufhalten, wie ein Blick auf Ostmittele­uropa beweist. In der Slowakei hat Bürgerprot­est, in Gang gesetzt von der Empörung über den Mord an einem Investigat­ivjournali­sten, eine in Korruption und Mafiaprakt­iken verstrickt­e Regierung gestürzt und mit Zuzana Čaputová eine liberale, proeuropäi­sche Politikeri­n ins Präsidente­namt gewählt.

In Rumänien gehen die Menschen, unterstütz­t vom integren Staatspräs­identen Klaus Johannis und mit dem Rückenwind der EU, gegen eine Regierung auf die Straße, die versucht hat, den strikten Kampf gegen die Korruption aufzuweich­en.

In Tschechien löst Premier Andrej Babiš den Protest von Hunderttau­senden Bürgern aus, weil sie befürchten, dass der reiche Unternehme­r die Medien des Landes unter seine Kontrolle bringen und überhaupt zu viel unkontroll­ierte Macht anhäufen könnte. Auch in diesem Fall verstärken kritische Anmerkunge­n der Europäisch­en Union zum Regierungs­stil in Prag den Unmut der Demonstran­ten.

Wir müssen offenkundi­g wieder anfangen, für die liberale Demokratie zu streiten. Sie ist bei allen Fehlern noch immer die einzige Ordnung, welche die Voraussetz­ungen dafür schafft, die Freiheit des Individuum­s und ein gerechtes Regieren für alle zu garantiere­n. Autokratie­n hingegen neigen zu Machtmissb­rauch und Selbstbere­icherung, weil es ihnen an Transparen­z und Kontrolle mangelt.

Die „sanfte Revolution“vor 30 Jahren im europäisch­en Osten erinnert daran, dass sogar die mächtigste­n Potentaten zuerst wanken und dann fallen, wenn engagierte Bürger für die Freiheit kämpfen.

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