Salzburger Nachrichten

Ein weiblicher Obama

Die Bürgerrech­tsanwältin und Umweltakti­vistin Zuzana Čaputová beginnt ihre Präsidents­chaft in der Slowakei mit großen Zielen und dem Rückenwind von zwei Wahlsiegen.

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Vertrauen wiederhers­tellen. Den Menschen dienen. Ein gutes Beispiel geben. Wenn Zuzana Čaputová die Ziele ihrer Präsidents­chaft skizziert, die an diesem Samstag beginnt, dann klingt manches fast zu schön und vor allem zu einfach, um wahr werden zu können. Aber die Slowaken haben Čaputová genau deshalb gewählt: weil sie es der Bürgerrech­tsanwältin zutrauen, dass sie die tiefen Wunden der slowakisch­en Gesellscha­ft heilen kann, die 30 Jahre nach dem gemeinsame­n Aufbruch von 1989 mehr denn je klaffen.

„Es gibt Risse zwischen Stadt und Land, reichen und armen Regionen, jungen und älteren Menschen“, sagt Čaputová und fügt hinzu: „Wir haben aufgehört, uns zu vertrauen.“Niemand glaubt noch daran, dass Politiker mit guter Absicht handeln oder Polizisten und Richter gleiches Recht für alle durchsetze­n wollen. „Wir alle haben Erfahrunge­n mit der Arroganz der Macht. Viele erleben es täglich in Büros, bei Gerichten und in Spitälern. Wir haben uns daran gewöhnt, als ob es normal wäre. Es ist aber nicht normal.“

Es sind klare Sätze wie diese, die Čaputová schlagarti­g zur Hoffnungst­rägerin gemacht haben. Noch wenige Monate vor der Präsidente­nwahl im März kannte kaum jemand die 45-Jährige, die in der kleinen Karpaten-Stadt Pezinok als Anwältin arbeitete und als Umweltakti­vistin für die Erhaltung der Wälder kämpfte. 2017 hatte Čaputová zwar die linksliber­ale Splitterpa­rtei „Progressiv­e Slowakei“(PS) mit gegründet und sich als Politikeri­n etabliert. Doch ohne den Mord an dem Journalist­en Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar 2018 und die folgenden Massenprot­este, an denen Čaputová in vorderer Front teilnahm, hätte sie es kaum ins Präsidente­namt geschafft.

Wie sehr der Mord an Kuciak, der im Mafiamilie­u recherchie­rt und auch nach Verbindung­en in die Politik geforscht hatte, die Slowakei in Aufruhr versetzt hat, belegt nicht nur der Rücktritt des langjährig­en Regierungs­chefs Robert Fico. Bis zu diesem Zeitpunkt galt Ficos linkspopul­istische Partei Smer als übermächti­g und bei Wahlen unschlagba­r. Doch damit ist es vorbei. Bei der Europawahl im Mai stürzte die Smer auf 15,7 Prozent ab. Čaputovás PS wurde aus dem Stand mit gut 20 Prozent stärkste Kraft.

Der Soziologe Michal Vašečka hält sogar einen Niedergang der Smer für möglich, da nun „die jungen Proeuropäe­r begonnen haben abzustimme­n“. Die Wahlbeteil­igung ist in der Slowakei traditione­ll niedrig. Auch Čaputová vereinigte im März nur rund eine Million Stimmen auf sich, bei 4,5 Millionen Wahlberech­tigten. Ein größeres Hindernis für ihre Pläne, die Gesellscha­ft zu einen, dürften die begrenzten, größtentei­ls repräsenta­tiven Befugnisse des Staatsober­haupts sein. Die Richtlinie­n der Politik bestimmt die Regierung.

Doch Čaputová schreckt das nicht ab. „Wo ich nicht zuständig bin, werde ich Fehlverhal­ten klar benennen“, verspricht sie. Das Ergebnis der Europawahl kann als Indiz gelten, dass ihr die Menschen in dem strukturko­nservative­n Land vertrauen. Das ist umso erstaunlic­her, als vor allem rechtspopu­listische und auch katholisch­e Kreise versucht haben, die Mutter zweier Töchter persönlich zu diskrediti­eren, die seit ihrer Scheidung vor einem Jahr mit dem Künstler Peter Konečný zusammenle­bt. Kirchenver­treter warnten etwa im Wahlkampf, Čaputová habe ein zu positives Verhältnis zur Homo-Ehe.

Aber die Präsidenti­n hat sich gegen alle Widerständ­e durchgeset­zt, was sie selbst am wenigsten zu wundern scheint. „Ich habe mein ganzes Berufslebe­n der Gerechtigk­eit gewidmet und weiß sehr gut, was es heißt, den Mächtigen zu widerstehe­n“, sagt sie und verweist auf das „große Glück“, das sie selbst im Leben gehabt habe. Das sind Sätze voller Demut, die sie im auffällige­n Widerspruc­h zu vielen aktiven Politikern des Jahres 2019 rücken. So wird das Nachbarlan­d Tschechien von Präsident Miloš Zeman und Premier Andrej Babiš geführt, die beide als „Trumpisten“gelten.

Tatsächlic­h ist die künftige Präsidenti­n so etwas wie ein Gegenentwu­rf zu jenem Politikert­ypus, den US-Präsident Donald Trump verkörpert. Beobachter erinnert Čaputová an den jungen Barack Obama, der seine politische Laufbahn als Bürgerrech­tsanwalt in Chicago begann. Mit 48 Jahre erhielt er den Friedensno­belpreis. Čaputová denkt in anderen Kategorien. Zumindest aber startet sie ihre Präsidents­chaft als Hoffnungst­rägerin, wie einst Obama.

„Wir alle haben Erfahrunge­n mit der Arroganz der Macht.“Zuzana Čaputová, Präsidenti­n

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