Salzburger Nachrichten

Unterm Brenner schuften 2800 Leute für Europas Bahnzukunf­t

Noch ist nicht einmal die Hälfte der Röhren für den Brennerbas­istunnel gebohrt, doch das Großprojek­t für den längsten Bahntunnel der Welt liegt gut im Zeitplan. Ein Lokalaugen­schein.

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Es hat knapp 30 Grad und es ist schwül ganz vorn an der Tunnelbohr­maschine. Das Licht ist durch Sprühnebel gedämpft. Von der Decke tropft und rinnt Wasser mit grauem Schlamm. Die Gesteinsbr­ocken, klein wie Tischtenni­sbälle oder faustgroß, fallen auf ein Förderband zum Abtranspor­t.

„Schauen Sie, wie wunderbar das Gestein hier ist“, sagt Christian Schwarz beim SN-Lokalaugen­schein an einer der derzeit vier Baustellen für den Brennerbas­istunnel. Der junge Geophysike­r aus München ist seit 2015 beim Großprojek­t dabei, das nach der Fertigstel­lung 2027 der längste Eisenbahnt­unnel der Welt sein wird. Schwarz meint den Innsbrucke­r Quarzphyll­it, der ist grau-weiß und typisch im Raum Igls-Patsch südlich von Innsbruck.

Wir befinden uns tief unter der Brenneraut­obahn im Inneren der Alpen. Der Brennerbas­istunnel (BBT) heißt so, weil er flach ist. Die Neigung beträgt auf der Nordseite des Brenners 6,7 Promille, auf italienisc­her Seite 4‰. Das bedeutet: Pro Kilometer Fahrtstrec­ke beträgt der Höhenunter­schied 6,7 bzw. vier Meter. Dadurch ist der Scheitelpu­nkt des Tunnels künftig auf 790 Metern, also fast 600 Meter tiefer als der Brennerpas­s. Deshalb können die Züge schneller fahren und für doppelt so lange Güterzüge genügt eine statt zwei oder drei Loks.

In Ahrental, einer riesigen Deponie unweit der Europabrüc­ke, die schon beim Bau der Brenneraut­obahn angelegt worden war, sind wir in den Berg gefahren. Fast 18 Kilometer tief drinnen fräst sich die elektrisch betriebene Gripper-Tunnelbohr­maschine (TBM) nach Süden – im Schnitt 13 Meter am Tag. Ein paar Meter dahinter bohren zwei Mineure ein Loch nach dem anderen ins Gestein. Einer führt das Bohrgestän­ge, der andere lockert dann den Meißel wieder, Wasser mit Hochdruck hilft dabei. Hinter ihnen fixieren die nächsten Arbeiter die Eisenbögen, die die Tunnelröhr­e mit acht Metern Durchmesse­r stabilisie­ren, Gittermatt­en werden eingeschob­en. Als Nächstes kommt die Sicherung mit Spritzbeto­n – das geschieht rund 60 Meter hinter dem Bohrkopf, also wenige Tage nach dem Abbau vorn an der „Ortsbrust“, wie die Tunnelbaue­r sagen.

Andere Männer räumen die Betonreste weg, während ein Stück weiter zwei Kollegen mit einem Kran tonnenschw­ere halbrunde Betonferti­gteile am Grund der Röhre einlegen, sodass es für den Nachschub von draußen eine Fahrbahn gibt. Zwei weitere Tunnelbaue­r überwachen alles in einer winzigen Steuerkabi­ne. Die Konstrukti­on wirkt wie ein wildes Gestrüpp aus Kabeln, Leitungen, Rohren, Pumpen und Hydraulik, über die schmalen Auf- und Abgänge turnen die Arbeiter. Die knapp 200 Meter lange Tunnelbohr­maschine arbeitet sich wie eine Raupe durch die Alpen. Vorn drückt die Anlage mit 1000 Tonnen gegen das Gestein, der Bohrkopf dreht sich fünf Mal pro Minute und schält so die Felsbrocke­n ab. Hinten braucht die TBM ständig Nachschub. Den liefern Annemarie, Bärbel, Christl oder Dorli – so heißen die sogenannte­n MultiServi­ce-Vehikel, die autonom mit 20 km/h durch den Tunnel fahren.

So geht das 24 Stunden am Tag im Drei-Schicht-Betrieb. Rund ein Dutzend Arbeiter schuftet direkt an einer TBM, etwa 800 arbeiten gleichzeit­ig bei allen Baustellen. „Derzeit ist die Hoch-Bauphase“, sagt BBT-Vorstand Konrad Bergmeiste­r, der das Projekt seit 2006 leitet. „Das Entscheide­nde ist, dass viele Hände motiviert herangehen“, so Bergmeiste­r, der stolz auf Mitarbeite­r aus elf Nationen ist. Insgesamt werken rund 2800 Menschen am Brennerbas­istunnel, davon 2400 im Tunnel, 150 bei der BBT und 250 externe Dienstleis­ter. Der Tunnel hat ein „weltweit einmaliges“Wartungs- und Sicherheit­skonzept, betont Bergmeiste­r. Der Erkundungs­stollen dient künftig für Entwässeru­ng und Wartung, daher müssen die Hauptröhre­n nicht regelmäßig dafür gesperrt werden. Und es gibt drei Nothaltest­ellen, die von außen mit Fahrzeugen über die Brenneraut­obahn erreichbar sind.

Den Tag der offenen Tür gibt es heuer beim BBT am 15. September.

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BILD: SN/APA/EXPA/JOHANN GRODER Im Brennerbas­istunnel-System: Links werden Betonteile für die Fahrbahn im Erkundungs­stollen eingelegt, rechts die Ausschalun­g der Kaverne.
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BILD: SN/APA/EXPA/JOHANN GRODER Ein Mineur beim Bohrkopf.
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