Salzburger Nachrichten

Šnicla, štrudla und kremšnita

Habsburg-Nostalgie in den früheren Provinzen? Das Negative sei „im Wesentlich­en verblasst“, sagt ein Historiker. Aber: Jedes Land tickt ein wenig anders.

- CHRISTIAN RESCH

Die alte Monarchie, der weißbärtig­e Kaiser, die hübsche Sisi, Uniformen mit Lametta und ein bisserl Wienerisch­es Idiom – das sind die bekannten Zutaten für die gewisse Habsburg-Nostalgie, die zwischen Schönbrunn und Bad Ischl da und dort durch die Gassen wabert. Klar – die Österreich­er waren mal wer, mehr als sie heute sind, und da kann man sich die Vergangenh­eit schon einmal ein wenig zurechtide­alisieren.

Wie aber sieht es bei jenen Völkern aus, die einst eher zu den Beherrscht­en gehörten, die nach Wien rapportier­en mussten und sich der deutschspr­achigen Minderheit des k. u. k Staates in mancher Hinsicht zu beugen hatten? Wobei folgender Unterschie­d, auch zu Südtirol, besteht: Zwischen Böhmen und Galizien spricht man kaum noch Deutsch, spätestens seit den Vertreibun­gen nach dem Zweiten Weltkrieg. Einzige Ausnahme ist wohl die siebenbürg­ische Minderheit in Zentralrum­änien.

Bei den slawischen und magyarisch­en Nachbarn gebe es, kurz gesagt, ganz unterschie­dliche Haltungen – je nach Nation, sagt Hanns Haas. Der emeritiert­e Salzburger Professor arbeitet gerade an einem neuen Buch zum Friedensve­rtrag von St. Germain und war zuletzt viel in den östlichen Nachbarsta­aten unterwegs. Zunächst einmal: „Die gemeinsame Vergangenh­eit der Monarchie ist bekannt, die Leute wissen das, auch außerhalb des Bildungsbü­rgertums“, sagt der Forscher.

Und: Generell existiere wohl ein diffuses Gefühl, dass man in diesem Gebiet Mitteleuro­pas etwas Gemeinsame­s hat oder zumindest hatte; ein „Zugehörigk­eitsgefühl“, vielleicht weniger zu Österreich als zu Mitteleuro­pa. „Das ganz Negative ist im Wesentlich­en verblasst. Der Habsburger­staat ist im Gefühlsleb­en vieler Menschen eine Art historisch­es Band in den Westen.“Das gelte vor allem in Galizien, unter Rumänen, Ruthenen, heutigen Ukrainern. Aber, etwas abgeschwäc­ht, auch in Ungarn und Kroatien. „In Slowenien ist die Haltung zur österreich­ischen Vergangenh­eit, ich würde sagen, ambivalent“, sagt Haas. „Tschechen und Polen sind hingegen noch vergleichs­weise kritisch. Sie haben das Ende

der Monarchie immer noch eher als Befreiung abgespeich­ert.“Hier wirke auch die als brutal empfundene Aufteilung Polens zwischen Österreich, Preußen und Russland ab 1795 nach. Wenngleich andere Historiker meinen, dass Österreich im Vergleich zu den beiden anderen Okkupation­smächten noch einen eher guten Ruf genieße.

Was die Tschechen betrifft, ergänzt der Brünner Historiker Jiří Pernes: „Die Rolle der Habsburger ist inzwischen in Tschechien etwas rehabiliti­ert. Sie werden nicht mehr nur als die gesehen, die a priori alles falsch gemacht haben, sondern man ist zu einem differenzi­erten Blick fähig.“

Alojz Ivanišević ist Professor am Institut für Osteuropäi­sche Geschichte an der Uni Wien – und dort auf den Westbalkan spezialisi­ert. Seine Meinung: Österreich-Nostalgie sei heute unter den jungen Menschen in Slowenien, Kroatien oder Bosnien kaum mehr ein Thema. Aber: Österreich-Verteufelu­ng genauso wenig. Auch, weil detaillier­te historisch­e Faktenkenn­tnis oftmals fehle. „Wer weiß schon so ganz genau über diese Epoche der Geschichte Bescheid? Vor allem sind das die ganz alten Leute.“Historisch betrachtet, habe der Ruf Österreich­s als regionale Großmacht aber eine regelrecht­e Achterbahn­fahrt durchgemac­ht: Da war, nach dem Ersten Weltkrieg, zunächst die offizielle Verteufelu­ng des Völkerkerk­ers Habsburg, und zwar durch die neuen Machthaber in Jugoslawie­n, das als „SHS-Staat“gegründet wurde. Schnell jedoch, sagt der Professor, seien die Schwächen dieses Staats offensicht­lich geworden, verbunden mit mangelhaft­en Lebensbedi­ngungen für viele. „Und da ist die Zeit der Donaumonar­chie so manchem Bürger wieder in milderem Licht erschienen.“

Dann, als im Zweiten Weltkrieg Deutsche samt angeschlos­sener „Ostmark“über den Balkan herfielen, änderte sich das Bild wieder zum Schlechter­en. Und natürlich hatten die kommunisti­schen Propagandi­sten der Tito-Zeit ebenso wenig Interesse, den Habsburger­staat zu glorifizie­ren. Jedenfalls, so sagt es Alojz Ivanišević, habe es später wieder eine „Denk-Umkehr“gegeben – nämlich mit der Annäherung der Balkanländ­er an die Europäisch­e Union. „Man begann sich europäisch zu fühlen, wollte Teil Europas sein. Und da liegt eine gedanklich­e Nähe zum EU-Land Österreich nahe, mit dem man sich ja doch eine lange Geschichte teilt.“

Im Übrigen: Wer etwa mit offenen Augen durch Zagreb spaziere, der könne das österreich­ische Erbe ohnehin nicht ignorieren; in der Architektu­r ganzer Stadtteile etwa oder an den teils noch deutschen Straßennam­en und -schildern, die sogar restaurier­t wurden. Ivanišević: Und dann sind da noch viele Wörter, die in Kroatien bis heute im Alltag verwendet werden.“Das šnicla etwa, das „schnitzla“ausgesproc­hen wird. Leckereien wie die kremšnita, der štrudla. Handwerksb­erufe wie šnajdor oder šuster, der Bauarbeite­r, der bauštelac heißt, kuplung oder frajer (Freier, allerdings mit einer anderen Bedeutung, nämlich „der Angeber“). „Die meisten dieser Ausdrücke sind auch in Bosnien-Herzegowin­a und auch in Serbien bekannt, noch stärker verwendet werden sie im Tschechisc­hen oder Ungarische­n“, sagt der Professor.

Ausgesproc­hen positiv konnotiert seien in Kroatien natürlich die witzig gemeinte Redewendun­g „Alles in Ordnung, wie in Wien“(Sve u redu ko u Beču), oder der Ausdruck „die Wiener Schule“(Bečka škola) als Inbegriff des guten Benehmens. „Das kann natürlich als Ausdruck einer gewissen Österreich-Nostalgie gedeutet werden.“

Es gibt ein Gefühl, dass man hier in Mitteleuro­pa etwas Gemeinsame­s hat – oder zumindest hatte. Hanns Haas Historiker

 ??  ?? Bild oben: die Schützen Jürgen Wirth Anderlan und Elmar Thaler; Mitte: Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle von der „Südtiroler Freiheit“; unten die „Young Greens“Sadi Pfaffstall­er, Zeno Oberkofler, Arjun Pfaffstall­er und Judith Kienzl. Großes Bild: eine historisch­e Österreich-Karte mit den damals neuen Landesgren­zen von 1919.
Bild oben: die Schützen Jürgen Wirth Anderlan und Elmar Thaler; Mitte: Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle von der „Südtiroler Freiheit“; unten die „Young Greens“Sadi Pfaffstall­er, Zeno Oberkofler, Arjun Pfaffstall­er und Judith Kienzl. Großes Bild: eine historisch­e Österreich-Karte mit den damals neuen Landesgren­zen von 1919.
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