Šnicla, štrudla und kremšnita
Habsburg-Nostalgie in den früheren Provinzen? Das Negative sei „im Wesentlichen verblasst“, sagt ein Historiker. Aber: Jedes Land tickt ein wenig anders.
Die alte Monarchie, der weißbärtige Kaiser, die hübsche Sisi, Uniformen mit Lametta und ein bisserl Wienerisches Idiom – das sind die bekannten Zutaten für die gewisse Habsburg-Nostalgie, die zwischen Schönbrunn und Bad Ischl da und dort durch die Gassen wabert. Klar – die Österreicher waren mal wer, mehr als sie heute sind, und da kann man sich die Vergangenheit schon einmal ein wenig zurechtidealisieren.
Wie aber sieht es bei jenen Völkern aus, die einst eher zu den Beherrschten gehörten, die nach Wien rapportieren mussten und sich der deutschsprachigen Minderheit des k. u. k Staates in mancher Hinsicht zu beugen hatten? Wobei folgender Unterschied, auch zu Südtirol, besteht: Zwischen Böhmen und Galizien spricht man kaum noch Deutsch, spätestens seit den Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Einzige Ausnahme ist wohl die siebenbürgische Minderheit in Zentralrumänien.
Bei den slawischen und magyarischen Nachbarn gebe es, kurz gesagt, ganz unterschiedliche Haltungen – je nach Nation, sagt Hanns Haas. Der emeritierte Salzburger Professor arbeitet gerade an einem neuen Buch zum Friedensvertrag von St. Germain und war zuletzt viel in den östlichen Nachbarstaaten unterwegs. Zunächst einmal: „Die gemeinsame Vergangenheit der Monarchie ist bekannt, die Leute wissen das, auch außerhalb des Bildungsbürgertums“, sagt der Forscher.
Und: Generell existiere wohl ein diffuses Gefühl, dass man in diesem Gebiet Mitteleuropas etwas Gemeinsames hat oder zumindest hatte; ein „Zugehörigkeitsgefühl“, vielleicht weniger zu Österreich als zu Mitteleuropa. „Das ganz Negative ist im Wesentlichen verblasst. Der Habsburgerstaat ist im Gefühlsleben vieler Menschen eine Art historisches Band in den Westen.“Das gelte vor allem in Galizien, unter Rumänen, Ruthenen, heutigen Ukrainern. Aber, etwas abgeschwächt, auch in Ungarn und Kroatien. „In Slowenien ist die Haltung zur österreichischen Vergangenheit, ich würde sagen, ambivalent“, sagt Haas. „Tschechen und Polen sind hingegen noch vergleichsweise kritisch. Sie haben das Ende
der Monarchie immer noch eher als Befreiung abgespeichert.“Hier wirke auch die als brutal empfundene Aufteilung Polens zwischen Österreich, Preußen und Russland ab 1795 nach. Wenngleich andere Historiker meinen, dass Österreich im Vergleich zu den beiden anderen Okkupationsmächten noch einen eher guten Ruf genieße.
Was die Tschechen betrifft, ergänzt der Brünner Historiker Jiří Pernes: „Die Rolle der Habsburger ist inzwischen in Tschechien etwas rehabilitiert. Sie werden nicht mehr nur als die gesehen, die a priori alles falsch gemacht haben, sondern man ist zu einem differenzierten Blick fähig.“
Alojz Ivanišević ist Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Uni Wien – und dort auf den Westbalkan spezialisiert. Seine Meinung: Österreich-Nostalgie sei heute unter den jungen Menschen in Slowenien, Kroatien oder Bosnien kaum mehr ein Thema. Aber: Österreich-Verteufelung genauso wenig. Auch, weil detaillierte historische Faktenkenntnis oftmals fehle. „Wer weiß schon so ganz genau über diese Epoche der Geschichte Bescheid? Vor allem sind das die ganz alten Leute.“Historisch betrachtet, habe der Ruf Österreichs als regionale Großmacht aber eine regelrechte Achterbahnfahrt durchgemacht: Da war, nach dem Ersten Weltkrieg, zunächst die offizielle Verteufelung des Völkerkerkers Habsburg, und zwar durch die neuen Machthaber in Jugoslawien, das als „SHS-Staat“gegründet wurde. Schnell jedoch, sagt der Professor, seien die Schwächen dieses Staats offensichtlich geworden, verbunden mit mangelhaften Lebensbedingungen für viele. „Und da ist die Zeit der Donaumonarchie so manchem Bürger wieder in milderem Licht erschienen.“
Dann, als im Zweiten Weltkrieg Deutsche samt angeschlossener „Ostmark“über den Balkan herfielen, änderte sich das Bild wieder zum Schlechteren. Und natürlich hatten die kommunistischen Propagandisten der Tito-Zeit ebenso wenig Interesse, den Habsburgerstaat zu glorifizieren. Jedenfalls, so sagt es Alojz Ivanišević, habe es später wieder eine „Denk-Umkehr“gegeben – nämlich mit der Annäherung der Balkanländer an die Europäische Union. „Man begann sich europäisch zu fühlen, wollte Teil Europas sein. Und da liegt eine gedankliche Nähe zum EU-Land Österreich nahe, mit dem man sich ja doch eine lange Geschichte teilt.“
Im Übrigen: Wer etwa mit offenen Augen durch Zagreb spaziere, der könne das österreichische Erbe ohnehin nicht ignorieren; in der Architektur ganzer Stadtteile etwa oder an den teils noch deutschen Straßennamen und -schildern, die sogar restauriert wurden. Ivanišević: Und dann sind da noch viele Wörter, die in Kroatien bis heute im Alltag verwendet werden.“Das šnicla etwa, das „schnitzla“ausgesprochen wird. Leckereien wie die kremšnita, der štrudla. Handwerksberufe wie šnajdor oder šuster, der Bauarbeiter, der bauštelac heißt, kuplung oder frajer (Freier, allerdings mit einer anderen Bedeutung, nämlich „der Angeber“). „Die meisten dieser Ausdrücke sind auch in Bosnien-Herzegowina und auch in Serbien bekannt, noch stärker verwendet werden sie im Tschechischen oder Ungarischen“, sagt der Professor.
Ausgesprochen positiv konnotiert seien in Kroatien natürlich die witzig gemeinte Redewendung „Alles in Ordnung, wie in Wien“(Sve u redu ko u Beču), oder der Ausdruck „die Wiener Schule“(Bečka škola) als Inbegriff des guten Benehmens. „Das kann natürlich als Ausdruck einer gewissen Österreich-Nostalgie gedeutet werden.“
Es gibt ein Gefühl, dass man hier in Mitteleuropa etwas Gemeinsames hat – oder zumindest hatte. Hanns Haas Historiker