Öfter mal die Klappe halten!
Keine Ahnung, aber eine Meinung. Nur mit einer Meinung allein hat der Mensch nicht viel zu sagen. Je mehr er sich dessen bewusst wird, desto besser für die Menschheit.
Um ein Missverständnis sofort auszuschließen: Die eigene Meinung ist wichtig. Aber nur, wenn es um das Menschenrecht der freien Meinungsäußerung geht. Die Menschenrechte – und das ist von großer Bedeutung – sind nämlich keine Meinungen. Sie sind Rechte, die in Österreich in der Verfassung verankert sind. Die Meinung hat weder Anspruch auf Legitimation noch auf einen Funken Wahrheitsgehalt. Dafür darf – Gott sei es geklagt – jeder Dorftrottel eine Meinung haben. Wenn Sie das nicht glauben, dann werfen Sie einen Blick in asoziale Foren des Internets.
Nach der Erkenntnistheorie von René Descartes ist die Meinung der erste von drei Schritten zur Erlangung menschlichen Bewusstseins. Sie steht für eine Art unausgegorenes „Fürwahrhalten“. Vom Glauben und Wissen sind wir da noch weit entfernt. Denn der Meinung fehlt sowohl subjektiv als auch objektiv die Begründung ihrer Aussage. Da ist der von der Naturwissenschaft oft belächelte Glaube schon weiter.
Vom Glauben spricht man, wenn jemand eine Aussage für wahr hält. Womit die „Wahrheit des Glaubens“im Gegensatz zur Meinung wenigstens subjektiv abgesichert ist. Der Unterschied zum Wissen besteht laut Descartes darin, dass man bei diesem von der Wahrheit überzeugt sein muss – und vor allem über eine objektiv ausreichende Begründung verfügt.
Das scheint heute im Internetzeitalter wieder völlig obsolet geworden zu sein. Es ist für viele zum Zwang geworden, unter dem Deckmantel einer nebulös formulierten Meinungsfreiheit zu jedem Thema seinen Senf abzusondern. Eine Entwicklung, die längst auch im richtigen Leben ihren Siegeszug angetreten hat. Nehmen wir nur einmal das ausufernde Demokratieverständnis in modernen Unternehmen. In österreichischen Firmen verbringt der oder die typische Angestellte inzwischen einen Tag pro Woche mit Konferenzen. Da wird also ein ganzer Tag durch das Einholen möglichst vieler Meinungen der Produktivität geopfert. Ein weiterer Tag geht mit der Beantwortung oder dem Löschen von E-Mails drauf.
Dieses Thema wurde bereits 2013 von Harald Martenstein in der „Zeit“recht süffisant kommentiert. Da äußerte er viel Mitgefühl für jeden Chef, der durch seine Tüchtigkeit an die Spitze einer Firma gelangte und sich dort in einen Moderator verwandeln muss, der 30 Prozent seiner Zeit damit verbringt, in Konferenzen die Monologe von Wichtigtuern abzuwürgen. Martenstein empfahl, diese Aufgabe doch einfach dem Türsteher eines Nachtclubs zu übertragen. Wer das Blabla unserer Tage nicht eindämmt, der geht darin unweigerlich unter. Und die Meinungsblasen blähen sich im Internet so lang auf, bis sie sich in Hasspostings entladen. Da ist eine hemmungslose Mitteilungsbedürftigkeit entstanden, die fundiertes Wissen gar nicht mehr wahrnimmt. Jeder will sich im vermeintlich eigenen Glanz seiner Meinung sonnen und verirrt sich dadurch immer mehr in Belanglosigkeiten. Das Problem dürfte so alt wie die Menschheit sein. Auch der römische Philosoph Boethius machte sich diesbezüglich Gedanken. Von ihm stammt der zeitlos schöne Satz: „Si tacuisses, philosophus mansisses (Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben).“Eine schärfere Variante dieser Ansicht liefert der französische Volksmund. Hier werden Wichtigtuer, die bei jeder Gelegenheit mir ihrer Meinung um sich werfen, so kommentiert: „Er hat eine verdammt gute Gelegenheit verpasst, sein Maul zu halten.“Dem könnte man folgendes Zitat von Voltaire entgegenhalten: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“Das Zitat ist schön, aber ein Fake. Evelyn Beatrice Hall legte es Voltaire 1906 in ihrem Buch „The friends of Voltaire“in den Mund. Voltaires wahrer Beitrag zum Menschenrecht der Meinungsfreiheit ist in „Questions sur les miracles“nachzulesen: „Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.“Sie sehen: Er meinte „schriftlich sagen“– nicht mündlich. Allerdings kannte er Facebook noch nicht …