Le Mans: 24 Stunden volles Rohr
Wie fast 18 Grands Prix am Stück. Auch die 87. Auflage der 24 Stunden von Le Mans ist eine Herausforderung an Mensch und Technik.
Triumphe und Tragödien. Die gerade im Rennsport häufig strapazierte Kombination, die die Faszination für ein Millionenpublikum ausmacht, trifft auf den ältesten europäischen Klassiker am meisten zu: Die 24 Stunden von Le Mans, die Samstag und Sonntag zum 87. Mal in der westfranzösischen Stadt an der Sarthe stattfinden – auf der 13,6 Kilometer langen Kombination aus Rennstrecke und Nationalstraße, auf der sich diesmal ein Rekordfeld von 62 Autos in vier Klassen (je zwei für Prototypen und GT-Wagen) mit höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegt.
Triumph und Tragödie, das erlebten auch heimische Rennfahrer in Le Mans. In den 86 Rennen bisher gab es vier Gesamtsiege, die jeweils richtungsweisend für die Karriere waren: Als Jochen Rindt 1965 im Ferrari 250 des North American Racing Teams (NART) zusammen mit dem Amerikaner Masten Gregory einen Überraschungscoup landete, ebnete der Erfolg den Weg zum Formel-1-Vertrag. Ebenso für Helmut Marko nach seinem grandiosen Run 1971, als er mit dem Niederländer Gijs van Lennep im Martini-Porsche 917 mit 5335 Kilometern einen Distanzrekord aufstellte, der bis 2010, also 39 Jahre, hielt. Und als Alex Wurz 1996 mit 22 Jahren und 91 Tagen jüngster Gesamtsieger im TWR-Porsche von Reinhold Joest wurde, konnte wenig später sein Manager Peter Cramer den ersten F1-Test im Sauber und später den ausschlaggebenden im Benetton vereinbaren, wodurch Wurz 1997 Formel-1-Pilot wurde. Dass der heute 45Jährige 13 Jahre danach, 2009, noch einmal den Gesamtsieg einfuhr, war ein besonderer Erfolg: Denn Wurz steuerte den Diesel-Peugeot 908 mit dem Australier David Brabham und dem Spanier Marc Gene, über Stunden gejagt vom zweiten 908 mit den französischen Lokalmatadoren Sébastien Bourdais, Stéphane Sarrazin und Franck Montagny, die am Ende eine Runde Rückstand hatten – doch die Teamführung bewies Fairness und gab keine Stallorder zugunsten des Franzosen-Trios aus.
Für Laien sind die verschiedenen Klassen im Le-Mans-Feld vermutlich schwierig zu verstehen, dennoch zählen Klassensiege in den 24 Stunden weit mehr als anderswo. So ist auch der niederösterreichische PorscheWerkfahrer Richard Lietz dreifacher LeMans-Gewinner (2007, 2010, 2013), der diesmal sogar noch theoretische Chancen auf den WM-Titel in der GTE-Klasse hat – Le Mans ist auch das Finale der 2012 wiederbelebten Langstrecken-Weltmeisterschaft, die nun ihre erste „Super Season“(jahresübergreifend von Mai 2018 bis Juni 2019) beendet. Auch der Faistenauer Walter Lechner jun. feierte einen Klassensieg, 2002 im Roc-VW bei den kleineren Prototypen. Ebenso schaffte Roland Ratzenberger 1993 im Toyota 93C-V mit Mauro Martini und Naoki Nagasaka den Klassensieg bei den Turbo-Prototypen. Und schließlich holte 1986 und 1987 mit dem Wahltiroler HansJoachim Stuck ein deutsch-österreichischer Doppelbürger den Gesamtsieg.
Österreicher feierten aber auch als Einsatzleiter zahlreiche Siege. Am öftesten der Wiener Wolfgang Ullrich, der Audi zwischen 2000 und 2014 zu 13 Triumphen dirigierte. Drei Mal in Folge schaffte dies der Steirer Fritz Enzinger als Sportchef von Porsche (2015–2017), ein Mal der Tiroler Gerhard Berger mit dem Erfolg 1999 des Schnitzer-Prototypen, ein halbes Jahr nach seiner Bestellung zum BMW-Sportchef.
Motorsportgeschichte aber schrieb die kleine Gruppe von sechs Mann von Porsche Salzburg, die 1970 mit Minimalaufwand zwei vom Werk vorbereitete 917 einsetzte, wovon der Kurzheck-Wagen mit 4,5-LiterMotor am Ende Porsches ersten Gesamtsieg in Le Mans herausfuhr. Rennleiter war damals Gerhard Strasser aus der Motorsportabteilung in der Salzburger Alpenstraße. Die Fahrer Hans Herrmann – der nach dem Erfolg das Versprechen an seine Gattin, den Rennsport aufzugeben, einlöste – und Richard Attwood wurden in Salzburg ausgesucht, Louise Piëch musste für das Budget sorgen. „Wir haben uns alles selbst organisiert“, erzählte Strasser viel später.
Dass die Werk-917 des John-Wyer-Teams ausfielen, der Salzburg-Porsche mit Nummer 23 in rot-weiß-roten Farben gewann, störte im Moment des ersten Triumphs niemanden – auch nicht Ferdinand Piëch, den Cheftechniker hinter dem radikalen 917, dem am meisten ausgereizten Rennauto seiner Zeit. Marko, der 1970 im älteren Porsche 908 mit dem Vorarlberger Rudi Lins schon Gesamtdritter war, kann sich heute nur wundern: „Ich fuhr 1971 das konventionelle Kurzheck, das auf der Hunaudières-Geraden fast 400 km/h erreichte. Auf der gab es damals ja noch keine Schikanen, nur den leichten Hügel vor Mulsanne, auf dem praktisch alle Autos abhoben. Ich musste stets die Fahnen am Streckenrand beobachten, um daraus Windrichtung und -stärke zu erkennen. Manchmal musste ich bei 400 km/h leicht gegensteuern!“
Wie es sich im 917, dessen Renndebüt schon 1969 – also vor 50 Jahren – stattfand, anfühlte, beschrieb Marko so: „Die Front des Wagens wurde ganz leicht, was ein ganz eigenartiges Gefühl vermittelte. Der luftgekühlte Fünfliter-Zwölfzylinder entwickelte ein kreischendes Geräusch. Das blieb dir lang im Kopf. Der Rahmen war aus Magnesium, das Polyesterchassis bekam immer wieder Haarrisse. Da führten die Mechaniker dann Luft zu und prüften, ob sie drinnen blieb oder entwich, so wurden die Risse aufgespürt.“Und bei einem Crash waren die Beine des Fahrers Knautschzone. Marko: „Aus heutiger Sicht frage ich mich, wie wir dieses Risiko eingehen konnten. Uns war die Tragweite überhaupt nicht bewusst.“
Einer der 21 in Le Mans (Training oder Rennen) tödlich verunglückten Rennfahrer war der Wiener Jo Gartner, dem ein Materialbruch am Porsche 962 des KremerTeams am 1. Juni 1986 bei über 300 km/h auf der Hunaudières zum Verhängnis wurde. Gartner hatte sich nach dem Ende seiner kurzen Formel-1-Karriere ganz auf die Sportwagenszene konzentriert, hatte im März 1986 die Zwölf Stunden von Sebring gewonnen und war ein aufstrebender Star: Für 1987 sollte er einen Porsche-Werkvertrag bekommen, ehe in Le Mans das Schicksal seinen Lauf nahm.
„Wir fuhren damals zu zweit, da gab es kaum Erholungsphasen. Ein paar Stunden Schlaf in einer Ecke in der Box unter einer Decke, eine Wurst vom Stand im Fahrerlager, das war’s“, erinnert sich Marko. Rundumbetreuung in Wohnwagen mit Masseur, Arzt, Ernährungsberater, exakte Planung der Boxenstopps und der Strategie insgesamt, das ist jetzt selbstverständlich. Für die 24 Stunden im Juni absolvieren die Werkteams bis zu drei Testläufe – meist über 30 Stunden.
Der Wert des Sieges im Mythos Le Mans ist nach wie vor hoch.