Die wahren Integrationshelden
Die Zersplitterung der Parteien im neuen EU-Parlament erschwert die Flüchtlingspolitik noch einmal. Daher richten sich viele Hoffnungen auf Städte und Gemeinden. Was machen sie besser als die Großen?
Europäische Städte bieten sich als „sichere Häfen“für Flüchtlinge an. Petra Bendel, Migrationsexpertin JOSEF BRUCKMOSER
Die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU steckt seit Jahren in einer Sackgasse. Daran hat auch die jüngste EU-Wahl nichts geändert. Im Gegenteil, sagt die Politikwissenschafterin und Migrationsexpertin Petra Bendel. „Die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments macht mit der Zersplitterung des Parteiensystems eine Einigung auf hohe flüchtlingsrechtliche Standards nicht einfacher.“Die Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Deutschland sieht daher einen weiterführenden Ansatz für eine zukunftsträchtige Einwanderungs- und Asylpolitik in den Kommunen. „Es ist interessant, dass gerade dort, wo die größte Last der Integration geschultert wird, besondere Ansätze für eine Migrations- und Integrationspolitik zu finden sind: in den Kommunen, und das europaweit. Unsere Vorschläge setzen daher bei denen an, die es unmittelbar betrifft: bei den Flüchtlingen selbst und bei den Menschen, die sie aufnehmen.“Flüchtlinge hätten in vielen Städten und Gemeinden deutlich mehr Mitspracherechte als auf anderen Ebenen der Politik. „Städte und Gemeinden in Europa gehen oft pragmatischer, progressiver und solidarischer mit migrationspolitischen Herausforderungen um als die Mitgliedsstaaten der EU“, betont Bendel. Angesichts nationaler Weigerungen, im Mittelmeer gerettete Geflüchtete aufzunehmen, böten sich Städte wie Neapel, Palermo, Barcelona, Berlin, Bonn oder Düsseldorf als „sichere Häfen“an und vernetzten sich zusehends untereinander. Auch in Salzburg, wo die Expertin demnächst ihr Konzept vorstellen wird, gebe es Bestrebungen, sich als „Solidarity City“zu verstehen.
Die Politikwissenschafterin will die EU damit aber nicht aus der Verantwortung entlassen. „Die Kommunen sollten einen verbesserten Zugang zu EU-Fonds und Mitspracherechte bei der Aufnahme von Schutzsuchenden erhalten.“Gleichzeitig müsse das Selbstbestimmungsrecht der Schutzsuchenden ernst genommen werden. Ein sogenanntes Matching-System könne helfen, Angebote von Kommunen und Bedürfnisse von Schutzsuchenden aufeinander abzustimmen. „Wesentlich ist dabei, dass die Entscheidungen auf kommunaler Ebene fallen, um den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort eigene Gestaltungsspielräume zu eröffnen“, betont die führende deutsche Expertin im SN-Gespräch. „Bislang entscheiden nationale Regierungen über Aufnahme und Verteilung von Schutzsuchenden. Kommunen haben kaum Spielräume. Solche benötigen sie aber, damit sie sich im Vorfeld gemeinsam mit lokalen Unterstützungsgruppen und der lokalen Wirtschaft vorbereiten können.“Zudem müssten sie finanziell so ausgestattet werden, dass die Aufnahme Schutzsuchender nicht zulasten anderer kommunaler Aufgaben gehe.
Gut dreieinhalb Jahre nach der Flüchtlingsbewegung vom Herbst 2015 zieht Bendel die Bilanz, dass Städte und Gemeinden mit einem neuen Selbstbewusstsein aus der Fluchtzuwanderung hervorgegangen seien. Den berühmten Satz „Wir schaffen das!“wandelt die Wissenschafterin so ab: „Die Kommunen sind die, die es geschafft haben! Sie haben Netzwerke entwickelt oder ausgeweitet zwischen Verwaltungseinheiten, Jobcentern, Ehrenamtlichen und Wohlfahrtsverbänden. Hier ist es, wo sich Integration in den Nachbarschaften, in den Bezirken abspielt.“Kommunen könnten ungeheuer innovativ sein. Unterhalb des Radars gebe es mannigfaltige Beispiele guter Praxis, z. B. dass die Entwicklung eines Mehrgenerationenhauses allen Bewohnern eines Stadtbezirks zugutekomme.
Teils beachtliche Erfolge sieht Bendel auch in der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. „Das Bildungssystem hat mit großem Engagement die allermeisten eingereisten Kinder und Jugendlichen in die Systeme integriert. Zentrale Bildungskennziffern sind stabil oder haben sich sogar verbessert.“Allerdings müsse man auch sagen, dass sich der Anteil der selbst zugewanderten Jugendlichen, die keinen Schulabschluss haben, verdoppelt habe. Auch die frühkindliche Bildung sei leicht rückläufig.
Im Arbeitsmarkt habe etwa ein Drittel der erwachsenen Personen aus den Hauptherkunftsländern, die seit 2015 nach Deutschland kamen, einen Job gefunden. Auch die Ausbildungszahlen zeichneten ein positives Bild. Allerdings gebe es die meisten Beschäftigungsverhältnisse noch in Helfertätigkeiten. „Vor allem die Ausbildungsgänge sollten flexibler gestaltet werden“, so Bendel. „Die Verfahren zur Kompetenzfeststellung sollten einfacher und schneller werden.“
Bleibt als Bilanz der EU-Flüchtlingspolitik also nur, dass die Migration die neuen Nationalismen in manchen EU-Ländern verschärft hat? „Nein“, sagt die Wissenschafterin, „es ist nicht die Migration an sich, welche die Nationalismen befeuert, denn paradoxerweise ist gerade dort, wo wenig Migration stattfindet, die Furcht davor am höchsten. Dagegen wird das konkrete Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft überwiegend positiv wahrgenommen. Die Kontakthypothese, wonach gemeinsames Erleben zum Abbau von Vorurteilen beitragen kann, hat etwas für sich.“
Was den Nationalismus befeuere, sei die Bedeutung, die dem Thema in der Öffentlichkeit zugeschrieben werde. „Und diese Bedeutung wird von rechtspopulistischen Parteien in vielen Mitgliedsstaaten gezielt erhöht. Das geht – besonders auffällig durch die rechtspopulistischen Parteien in Italien und Ungarn – mit einer Polarisierung und Skandalisierung des Themas einher“, sagt Bendel. Auch in Österreich habe Heinz-Christian Strache gezielt von einem „Bevölkerungsaustausch“gesprochen, und die deutsche AfD habe das Thema als eine Bedrohung des sozialen Friedens dargestellt, gekoppelt mit der Furcht vor einem Verlust an nationaler Souveränität.
Differenziert antwortet die deutsche Migrationsexpertin auf die Frage, ob Migration und Asylpolitik nicht mehr sauber voneinander getrennt würden. „Völkerrecht und EU-Recht unterscheiden zwischen Migration und Flucht. Allerdings fliehen immer mehr Menschen, weil ihre wirtschaftlichen oder ökologischen Lebensgrundlagen zerstört werden.“Solche Fluchtursachen würden momentan vom bestehenden völkerrechtlichen Schutzsystem nur zum Teil berücksichtigt.
Petra Bendel ist Politikwissenschafterin an der FAU Erlangen-Nürnberg, Gastprofessorin an der Universität Wien und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Auf Einladung der Salzburger Plattform für Menschenrechte setzt sich die Wissenschafterin am Montag, 24. Juni 2019, 19.30 Uhr im Europasaal der Edmundsburg, Mönchsberg 2, mit dem Thema „EU-Flüchtlingspolitik: Wie weiter? EU-Asylsystem, Seenotrettung, Ausgrenzungsschutz, Externalisierung“auseinander. Info: