Savoir-vivre aus aller Welt
Studentenstadt Montpellier
„Die Stadt lässt so manch andere französische Stadt ganz schön alt aussehen“, schmunzelt Édouard Jacquemet. Beim Bummel durch charmante Altstadtgassen erzählt der Student vom südfranzösischen Uni-Alltag: Mittagspausen in der Sonne, Aperitifs auf Caféterrassen und Wochenenden am Strand. „Da könnte man sich Studieren durchaus schlechter vorstellen.“Worüber Édouard schwärmt, ist Montpellier – Universitätszentrum der französischen Mittelmeerküste und größte Stadt der Region Languedoc. Jeder vierte Einwohner ist an einer der sieben Hochschulen inskribiert. Neben Studierenden aus ganz Frankreich zieht Montpellier jährlich auch Hunderte Austauschstudenten an, häufig wird die Stadt unter den zehn beliebtesten Erasmus-Destinationen genannt. Studieren hat hier eine lange Geschichte: 1220 wurde die älteste medizinische Fakultät Frankreichs gegründet. Nach und nach entwickelte sich die Hochschule dann zum intellektuellen Zentrum, unter ihren namhaften Absolventen finden sich etwa der humanistische Autor und Satiriker François Rabelais und der Arzt und Astrologe Michel de Nostredame. An der medizinischen Fakultät wird bis heute gelehrt und die alten Seziersäle mit ihren teils bemerkenswerten Ausstellungsstücken sind zu ausgewählten Zeiten auch für Besucher zugänglich. Weit über die Medizin hinaus hat sich Montpellier zu einem Wissenschaftsstandort entwickelt, der für Studierende aus dem In- und Ausland attraktiv ist. Nicht zuletzt, weil die Mieten im Vergleich zu anderen französischen Städten moderat sind und auch das tägliche Leben gut leistbar ist.
Das mediterrane Klima lockt die vielen jungen Leute aus ihren Studentenheim- und WG-Zimmern in die Innenstadt und an die Strände am Stadtrand. Abends pulsiert der Stadtkern, die Cafés sind an jedem Wochentag voll und auf den Terrassen herrscht das ganze Jahr über ein reges Treiben. Durch die engen Gassen der Altstadt, des Écusson, schlendern stets Gruppen und Grüppchen, plaudern, lachen, diskutieren, oft bis spät in die lauen Nächte hinein. Und bald ist auch das Vorurteil verworfen, dass in Frankreich ausschließlich Französisch gesprochen wird: Alle möglichen Sprachen sind hier zu hören. Die Einheimischen erleichtern so manchem Erasmusstudenten die ersten Wochen durch ein paar Brocken Englisch.
Wer jetzt das Frankreich-Klischee mit knusprigen Baguettes, Akkordeonmusik und Lavendelblüten vermisst: Keine Sorge, auch danach muss man nicht lang suchen. In der Altstadt lassen sich alte Häuser mit bunten Fensterläden im provenzalischen Stil bewundern, aus kleinen Bäckereien duftet es verführerisch nach Croissants, Pain au Chocolat und anderen ofenfrischen „viennoiseries“. Aber ein Spaziergang ganz ohne kulinarischen Zwischenstopp macht sich ebenfalls bezahlt. Vorbei an Antiquitätenläden, Buchhandlungen und ausgefallenen Boutiquen kommt man immer wieder auf kleine Plätze, jeder mit seinem ganz eigenen Charakter, oft mit Straßenmusik und meist mit Tischchen für einen schnellen Café.
Édouards Wahl ist das Café Petit Nice in der Rue de la Loge. Er ist vom Übersee-Département La Réunion zum Studium nach Montpellier gekommen. Warum er sich nicht für eine der großen Universitätsstädte Paris oder Lyon entschieden hat? „Da ist natürlich das angenehme Klima und die Nähe zum Meer“, meint er. Außerdem habe die Universität einen guten Ruf und generell sei Montpellier eine der lebenswertesten Städte Frankreichs. „Es ist einfach cool hier.“Er zwinkert. Im Süden sehe man eben alles nicht ganz so eng. „Die Leute hier sind offen, ich kenne keinen anderen Platz in Frankreich, wo einem mit so viel Gastfreundschaft begegnet wird.“
Doch auch bloß ein paar Urlaubstage hier haben ihren Reiz. Und wer dann wieder genug vom bunten Studententreiben in der Innenstadt hat, entdeckt das reizvolle Umland mit seinen ebenso reizvollen Weingütern oder entspannt einfach – quasi vor den Toren der Stadt, aber besser abseits von Juli und August – an den herrlichen MittelmeerSandstränden von Carnon, La Grande Motte oder Palavas-les-Flots.