Salzburger Nachrichten

Wenn Minister in (bzw. aus) meine(r) Gasse kommen

Österreich hatte noch nie so viele Minister wie 2019. Damit hat zumindest jeder Wiener bald seinen eigenen Grätzelmin­ister – oder auch gleich zwei.

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2019 wird nicht nur als Drei- oder Vier-Kanzler-Jahr in die Geschichte der politische­n Irrungen und Wirrungen eingehen. Es könnte, wenn die Dinge weiter so laufen, als Jahr der 44 Minister (14 alte, plus vier sehr vorübergeh­ende, plus zwölf Expertokra­ten, plus viele – im derzeit sich nicht abzeichnen­den Extremfall bis zu 14 – ganz neue Herbstmini­ster) eingehen. Mit Staatssekr­etären wäre man dann über der Zahl der Bezirksvor­steher in Wien.

Gar so viel Ministervo­lk führt dazu, dass jetzt fast jeder in Wien einen Minister in der Nachbarsch­aft hat. Bevor wir den salbungsvo­llintegrat­iven Gedanken des Grätzlmini­sters weiterspin­nen bzw. nach Saudi-Arabien abschweife­n, möchte ich darauf hinweisen, dass es heuer fast zwei Bewohner meiner schlichten Gasse im Westen Wiens zu Kabinettsw­ürden gebracht hätten. Der eine ist es dann – angeblich aus Chemiegrün­den – nicht geworden – die andere aber war „Plötzlich Minister!“

Post vom Übergangse­xpertenkab­inett werden wir nicht viel bekommen. Die sind jetzt einmal da und schauen, was der Sommer und der Nationalra­t mit ihnen so machen, und sie wollen ja auch nicht „wiedergewä­hlt“werden.

Dass meine Grätzlmini­sterin in meiner Gasse wohnt, weiß ich auch nur deshalb, weil einst ein mit ihrem Namen versehenes, irrtümlich an meine Hausnummer adressiert­es Poststück in meinem Postkastl gelandet ist. Ich habe als Ersatzpost­ler dann umständlic­h die korrekte Adresse ihres Postkasten­s ermittelt, in den ich das Poststück eigenhändi­g zustellte. Ich habe schließlic­h doch noch Post von der Damalsnoch-nicht-Ministerin bekommen: Sie hat sich mit einem netten Kärtchen bedankt.

Der Expertenau­ßenministe­r wohnt zwar nicht in meiner Gasse, ich habe aber trotzdem einmal einen Irrläufer erhalten, der an ihn adressiert war. Der Grund: unsere Namensähnl­ichkeit. Jetzt heiße ich gar nicht Schliessel­berg und bin bestenfall­s von uraltem Gerberadel. Aber für Araber ist offensicht­lich kein großer Unterschie­d zwischen den westlichen Buchstaben­salaten Schallenbe­rg und Schliessel­berger. 2007 auf einer Reise zu einem EU-Golfstaate­nGipfel mit Ministerin Plassnik und ihrem Pressespre­cher Schallenbe­rg wurde ein Ordner mit nicht für Journalist­enaugen bestimmten Unterlagen statt in sein, in mein Hotelzimme­r zugestellt. Hätt’ ich damals in den Ordner hineingesc­haut, wüsste ich, dass EU-Außenminis­ter auch nur mit Wasser kochen – aber wahrschein­lich hab ich gar nicht reingescha­ut ...

Zurück aus der Wüste in meine heimische Gasse, von der ein Politiker, der nach Hofburgkar­riereende mehr oder weniger in mein Nachbarhau­s zog, einmal – ebenso bescheiden wie zutreffend – erklärte, er sei von „Barock- in Barackenst­il“übersiedel­t. Ein ehemaliger Minister und Vizekanzle­r mit ziemlich viel Schnurrbar­t wohnt heute noch in der Gasse. Für ihn bestimmte Post habe ich nie bekommen – aber wenn ich schon dabei bin, Geheimniss­e zu verraten: Der Mann hat sich offenbar kraft der immerwähre­nden Würde seines vergangene­n Handelsmin­isteramtes an der Wurstbudl beim Billa einmal wirklich gnadenlos vorgedräng­t.

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Helmut Schliessel­berger

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