Jetzt mal ehrlich: Was hat Facebook mit Libra wirklich vor?
Ein erfreulicher Befund in Zeiten, in denen so viel schwarzgemalt wird: Die Menschen sind ehrlicher, als man ihnen zutraut.
Es wird ja viel geklagt, dass es mit den guten Sitten – sowohl im Privaten wie auch im Geschäftsleben – nicht mehr zum Besten steht. Der Egoismus feiere fröhliche Urstände, die gegenseitige Rücksichtnahme nehme ab, und gerade im Hinblick auf den Geschäftsverkehr gebe es einen bedauerlichen Anstieg unmoralischen Verhaltens – das sich etwa in der rapiden Zunahme der Fälle von Cyberkriminalität zeigt. Bei so vielen betrüblichen Nachrichten kommt ein Forschungsergebnis aus der guten alten analogen Welt gerade recht. Forscher aus den USA und der Schweiz haben herausgefunden, dass die Menschen sehr viel ehrlicher sind, als gemeinhin angenommen wird.
Ihre Behauptung stützt sich auf die Ergebnisse eines Experiments, das denkbar einfach aufgebaut war. In 355 Städten in 40 Ländern wurden insgesamt 17.000 Brieftaschen im öffentlichen Raum – in Ämtern und Behörden, aber auch in Hotels und Banken – als gefunden gemeldet und bei Angestellten deponiert. Um herauszufinden, welchen Einfluss Geld auf die Bereitschaft hat, den Besitzer zu kontaktieren (dessen Name und E-Mail-Adresse sich in der Brieftasche befand), wurde der Geldbetrag variiert und an die lokale Kaufkraft angepasst. Die Börse enthielt außerdem einen Schlüssel.
Das überraschende Ergebnis: Die Neigung, den Besitzer vom Fund zu verständigen, nahm mit steigenden Geldbeträgen zu. Anders formuliert: Wenn das latent vorhandene Streben nach dem finanziellen Vorteil jedes Einzelnen von uns mit dem Gewissen kollidiert, dann gewinnt im Zweifel das Gute im Menschen.
Als Erklärung bieten die Forscher allerdings nicht nur an, dass Menschen stärker als erwartet zum Altruismus neigen, sondern dass ihnen auch die Vorstellung widerstrebt, vor sich selbst rechtfertigen zu müssen, als Dieb dazustehen. Dass die Bereitschaft, eine gefundene Geldbörse abzugeben, mit der Höhe des darin befindlichen Betrags zunimmt, kann man weniger wissenschaftlich so formulieren: Wenn Menschen eine Börse mit viel Geld finden, schätzen sie instinktiv ab, wie es ihnen bei einem solchen Verlust ginge, und können daher nachvollziehen, was der für andere bedeutet.
In dem Maße, in dem sich die Welt digitalisiert, stellt sich die Frage, wie valide die Ergebnisse sind. Was passiert künftig, wenn jemand eine elektronische Geldbörse findet? Wird er im Wissen, dass hinter jeder Ecke des virtuellen Raums ein Datenkrake lauert, auch nur einen Blick riskieren und dann den Besitzer der Wallet kontaktieren? Oder wird das gar nicht nötig sein, weil der Emittent über den Verlust Bescheid weiß und den Finder bereits lokalisiert hat? Angesichts der Pläne von Facebook, die eigene Währung Libra zu schaffen, sind das spannende Fragen – nicht nur für Forscher.