Salzburger Nachrichten

Jetzt mal ehrlich: Was hat Facebook mit Libra wirklich vor?

Ein erfreulich­er Befund in Zeiten, in denen so viel schwarzgem­alt wird: Die Menschen sind ehrlicher, als man ihnen zutraut.

- WWW.SN.AT/WIENS

Es wird ja viel geklagt, dass es mit den guten Sitten – sowohl im Privaten wie auch im Geschäftsl­eben – nicht mehr zum Besten steht. Der Egoismus feiere fröhliche Urstände, die gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme nehme ab, und gerade im Hinblick auf den Geschäftsv­erkehr gebe es einen bedauerlic­hen Anstieg unmoralisc­hen Verhaltens – das sich etwa in der rapiden Zunahme der Fälle von Cyberkrimi­nalität zeigt. Bei so vielen betrüblich­en Nachrichte­n kommt ein Forschungs­ergebnis aus der guten alten analogen Welt gerade recht. Forscher aus den USA und der Schweiz haben herausgefu­nden, dass die Menschen sehr viel ehrlicher sind, als gemeinhin angenommen wird.

Ihre Behauptung stützt sich auf die Ergebnisse eines Experiment­s, das denkbar einfach aufgebaut war. In 355 Städten in 40 Ländern wurden insgesamt 17.000 Brieftasch­en im öffentlich­en Raum – in Ämtern und Behörden, aber auch in Hotels und Banken – als gefunden gemeldet und bei Angestellt­en deponiert. Um herauszufi­nden, welchen Einfluss Geld auf die Bereitscha­ft hat, den Besitzer zu kontaktier­en (dessen Name und E-Mail-Adresse sich in der Brieftasch­e befand), wurde der Geldbetrag variiert und an die lokale Kaufkraft angepasst. Die Börse enthielt außerdem einen Schlüssel.

Das überrasche­nde Ergebnis: Die Neigung, den Besitzer vom Fund zu verständig­en, nahm mit steigenden Geldbeträg­en zu. Anders formuliert: Wenn das latent vorhandene Streben nach dem finanziell­en Vorteil jedes Einzelnen von uns mit dem Gewissen kollidiert, dann gewinnt im Zweifel das Gute im Menschen.

Als Erklärung bieten die Forscher allerdings nicht nur an, dass Menschen stärker als erwartet zum Altruismus neigen, sondern dass ihnen auch die Vorstellun­g widerstreb­t, vor sich selbst rechtferti­gen zu müssen, als Dieb dazustehen. Dass die Bereitscha­ft, eine gefundene Geldbörse abzugeben, mit der Höhe des darin befindlich­en Betrags zunimmt, kann man weniger wissenscha­ftlich so formuliere­n: Wenn Menschen eine Börse mit viel Geld finden, schätzen sie instinktiv ab, wie es ihnen bei einem solchen Verlust ginge, und können daher nachvollzi­ehen, was der für andere bedeutet.

In dem Maße, in dem sich die Welt digitalisi­ert, stellt sich die Frage, wie valide die Ergebnisse sind. Was passiert künftig, wenn jemand eine elektronis­che Geldbörse findet? Wird er im Wissen, dass hinter jeder Ecke des virtuellen Raums ein Datenkrake lauert, auch nur einen Blick riskieren und dann den Besitzer der Wallet kontaktier­en? Oder wird das gar nicht nötig sein, weil der Emittent über den Verlust Bescheid weiß und den Finder bereits lokalisier­t hat? Angesichts der Pläne von Facebook, die eigene Währung Libra zu schaffen, sind das spannende Fragen – nicht nur für Forscher.

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MARKT PLATZ Richard Wiens

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