Arbeiten im Hotel. Wer will?
Der Tourismus sucht händeringend nach qualifizierten Mitarbeitern. Die Dynamik wird noch weiter deutlich zunehmen, sagen Experten.
WIEN. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften macht zusehends immer mehr heimischen Branchen zu schaffen, aber kaum in einem anderen Bereich sind die Folgen daraus bereits derart gravierend zu spüren wie im Tourismus. Etliche Unternehmen der Hotellerie oder Gastronomie können ihr bisheriges Angebot mangels qualifizierter Mitarbeiter nicht mehr aufrechterhalten. Michaela Reitterer, die Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), kann eine Reihe von Beispielen nennen. Manche Betriebe würden nachmittags schließen, andere müssten bereits Veranstaltungen wie Hochzeiten ablehnen. Das heißt für sie: „Die Alarmglocken läuten.“
Das ist kein rein österreichisches Problem, das zeigen Vergleiche mit anderen deutschsprachigen Ländern. Auch Deutschland, die Schweiz, Liechtenstein, Südtirol oder Luxemburg haben mit dem gleichen Thema zu kämpfen, wenn auch mit gelegentlich anders gelagerten Schwerpunkten. Das zeigte sich beim Internationalen Arbeitsmarktdialog der ÖHV diese Woche in Wien. Der deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) etwa sieht das Thema Tourismus in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten der Industriebranche, zudem sei das Angebot an Kinderbetreuung, besonders abends und am Wochenende, unzureichend. Der Südtiroler Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) sieht die Vollbeschäftigung in der eigenen Region sowie in den wichtigsten Herkunftsmärkten für TourismusFacharbeiter als wesentliche Ursache des Mangels. Und der Schweizer Verband hotelleriesuisse befürchtet, dass angesichts rückläufiger Geburtenraten zunehmend auch der Bereich Hilfskräfte vom Arbeitskräftemangel betroffen sein werde. Unter dem Strich steht für ÖHV-Chefin Reitterer daher fest, dass es sich nicht um ein länder-, sondern um ein branchenspezifisches Thema handelt.
Statt einer Besserung erwarten Experten eine weitere Zuspitzung des Problems. Denn der Bedarf nach neuen Arbeitskräften in Hotellerie und Gastronomie dürfte weiter zunehmen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS). Demnach würden bei anhaltend stabilem Wachstum der Branche bis zum Jahr 2023 allein in der Hotellerie rund 8000 Mitarbeiter zusätzlich pro Monat benötigt, bei beschleunigtem Wachstum könnten es doppelt so viele sein. In Summe sei überhaupt ein zusätzlicher Bedarf von 40.000 bis 60.000 neuen Mitarbeitern zu erwarten, stellt IHS-Wirtschaftsforscher Dominik Walch in Aussicht. Dabei dürfe man nicht die steigende Dynamik übersehen. Wegen der starken Saisonalität bedeute das, dass gut 664.000 Personen „durch die Branche durchgehen“. Das hängt zu einem großen Teil mit den atypischen und komplexen Mustern innerhalb der Tourismusbranche zusammen. Diese sind dafür verantwortlich, dass im Jahresdurchschnitt im heimischen Tourismus rund 275.000 Personen arbeiten. In Summe sind allerdings fast doppelt so viele Personen, nämlich mehr als 500.000, in Gastronomie und Beherbergungsbetrieben beschäftigt.
Die Dynamik aus unterschiedlichen Faktoren werde vielfach unterschätzt, warnt Walch. Unter dem Strich würden die Demografie, saisonale Schwankungen, eine hohe Mitarbeiterrotation sowie laufende Qualitätssteigerungen die Branche vor neue Herausforderungen stellen. Außerdem wachse die Beschäftigung schneller als die Zahl der Übernachtungen.
Vor diesem Hintergrund bedauert ÖHV-Chefin Reitterer das vorzeitige Aus der türkis-blauen Koalition. Entsprechend lang ist der Forderungskatalog der Touristiker an eine neu gewählte Regierung. Eine Kernforderung ist weiter eine „ernst zu nehmende Senkung der Lohnnebenkosten“, dazu kommen Wünsche nach einer umfassenden Lehrlingsoffensive, zeitgemäßen Lehrplänen, der weiteren Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Mitarbeitermobilitätsprogrammen und dem Ausbau des Kinderbetreuungsangebots.
„Die Dynamik aus mehreren Faktoren wird gern unterschätzt.“Dominik Walch, Wirtschaftsforscher