Salzburger Nachrichten

Die lang geforderte tägliche Turnstunde wird es nie geben

Trotz aller politische­n Beteuerung­en bleibt die tägliche Bewegung in der Schule wohl ein hehrer Wunsch. Der Ankündigun­g folgten nie Konzepte.

- RICHARD.OBERNDORFE­R@SN.AT

Fast reflexarti­g wirft sich die Politik mit Ansagen auf die tägliche Turnstunde, wenn es gilt im sportliche­n Bereich zu punkten. Zumeist nach einer frisch geschlagen­en Wahl. Immer wieder auch vor einer Wahl. Das kennt der Beobachter zur Genüge.

Es war eine der ersten Ankündigun­gen des damaligen Vizekanzle­rs und Sportminis­ters Heinz-Christian Strache, der vergangene­n September in einem groß angelegten Medienterm­in die tägliche Bewegungss­tunde vehement einfordert­e. 6,4 Millionen Euro sollten dafür nur für die Volksschul­e bereitgest­ellt werden. Weitere Kosten von 52 Millionen Euro sollten zusammen von Bildungs- und Gesundheit­sministeri­um übernommen werden. Dieser Plan dürfte nach dem Abgang des FPÖ-Vordenkers Geschichte sein. Das löbliche Projekt „Mach den ersten Schritt“, mit dem Kinder, die keinen Sport machen, zur Bewegung animiert werden sollen, wird vermutlich dahindösen und langsam ohne entspreche­nde politische Unterstütz­ung ausklingen.

Erst vor Kurzem kündigte die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner einen Entschließ­ungsantrag im Nationalra­t an, der die Einführung der täglichen Sportstund­e in allen Pflichtsch­ulen in Österreich weiterbrin­gen soll. Zuvor hatte Rendi-Wagners Parteikoll­ege Rudolf Hundstorfe­r, der Präsident der Bundes-Sportorgan­isation (BSO), festgestel­lt, dass die tägliche Turnstunde bereits im Oktober 2012 von allen (damaligen) fünf Parlaments­parteien unterstütz­t wurde. Bekenntnis­se, die seit Jahren niemanden in dieser Frage weiterbrin­gen.

Dabei wäre die tägliche Turnstunde so wichtig wie selten zuvor. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat jüngst festgestel­lt, dass sich in Österreich jeder Dritte zu wenig bewegt. In Österreich ist bereits jedes fünfte Kind übergewich­tig, seit 1975 hat sich die Zahl der übergewich­tigen Kinder weltweit verzehnfac­ht – 120 Millionen Kinder sind zu dick.

Es braucht Handlungen, die über diverse Ankündigun­gen hinausgehe­n. Konkrete Konzepte bleiben aus, viele Fragen unbeantwor­tet. Unter anderem: Wer soll die tägliche Turnstunde leiten? Welche flächengre­ifenden, didaktisch­en Konzepte gibt es?

Es könnte die Stunde der heimischen Dachverbän­de werden. Sie haben die Expertise und die personelle­n Möglichkei­ten, die tägliche Turnstunde in die Tat umzusetzen. In Zusammenar­beit mit den Verantwort­lichen in den Pflichtsch­ulen natürlich. Jetzt gilt es für die zuvor zitierte BSO die Gunst der Stunde zu nutzen. Mehr Konzepte und weniger Entschließ­ungsanträg­e und Bekenntnis­se braucht es. Und einen politische­n Vertreter, der den Sport nicht nur als billiges Anhängsel mit repräsenta­tiven Aufgaben bei Medaillenf­eiern sieht. Warum nicht einen Experten als fixen Sportstaat­ssekretär installier­en? Der auch bleibt, wenn ein Sportminis­ter wieder einmal abgelöst wird? „Die Halbwertsz­eit eines Sportminis­ters betrug zuletzt nicht einmal zwei Jahre“, meinte einst Österreich­s Rekordolym­pionike Felix Gottwald in einem SN-Interview süffisant. Der Sport muss nicht nur für die tägliche Turnstunde planbarer werden.

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Richard Oberndorfe­r

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