Salzburger Nachrichten

Gegen die Launen der Natur

Verrückte Ruder-Herausford­erung. In 40 Tagen allein über den Atlantik – wie geht das? Erstmals wagt ein Österreich­er das Abenteuer.

- RICHARD OBERNDORFE­R

Es ist eine der letzten großen sportliche­n Herausford­erungen. Die „Atlantic Challenge“, bei der Ruderer seit 2011 jedes Jahr im Dezember 4800 Kilometer von Gomera über den Atlantik nach Antigua rudern. Nur mit Muskelkraf­t. Ohne Hilfe von Wind und Segel. In Begleitung von Rettungsbo­oten, die im Ernstfall bis zu fünf Tage zum Unfallort brauchen. In speziell angefertig­ten Ruderboote­n geht es über Wochen gegen die Launen der Natur. Gerudert wird diese „Kolumbus-Route“in mehreren TeamWertun­gen. In der Einer-Wertung ist erstmals ein Österreich­er mit dabei. Der Salzburger Wolfgang Fankhauser will die Tortur auf dem Meer in knapp 40 Tagen schaffen. Allein. Dazu trainierte der 38-jährige Gastronom und Surf- und Segelkönne­r seit Monaten wie ein Berserker. Im SN-Interview spricht Fankhauser über die Vorbereitu­ng und die außerorden­tliche mentale Belastung mit der Einsamkeit auf hoher See.

SN: Herr Fankhauser, wie kommen Sie auf die verrückte Idee, über den Atlantik rudern zu wollen?

Wolfgang Fankhauser: Das war die Faszinatio­n Atlantik. Eineinhalb Mal bin ich schon über den Atlantik gesegelt. 2014 musste uns der Hubschraub­er nach drei Tagen zurückhole­n, weil ein Ruder gebrochen war und wir drei auf dem Boot manövrieru­nfähig waren. Wenig später sind wir dann von Gran Canaria aus hinüberges­egelt – seitdem habe ich die „Atlantic Challenge“im Kopf.

SN: Was steckt hinter dem Projekt, nur mit Muskelkraf­t über den Atlantik rudern zu wollen?

Heuer starten im Dezember 35 Boote, die meisten rudern als Viererteam­s. Als SoloBoote sind acht Boote gemeldet. Geplant ist, dass ich rund 40 Tage für die Querung brauche, das hängt von Wetter und Strömung ab. Für mich heißt das jeden Tag 18 Stunden rudern. Die sechs Stunden Pause hat man natürlich nicht am Stück, zum Schlafen nützt man etwa täglich zwei Stunden hintereina­nder. Dazwischen wird immer wieder gerudert. Sonst hat man recht wenig zu tun. Jeden Morgen Solarpanel­s putzen, navigieren, essen und trinken. Ein Autopilot im Ruderboot sorgt für die Orientieru­ng, dafür sind an den Rudern kleine Sensoren angebracht, die halten den Kurs per GPS. Wichtig ist dabei, dass man sich jeden Tag Zielpunkte setzt, so eine Art Tagespensu­m, das man erreichen will.

SN: Hinter Ihrem Projekt steckt aber auch ein karitative­r Zweck.

Das Boot, das ich vor Kurzem in Amsterdam um 45.000 Euro gekauft habe, soll nach dem Rennen zugunsten der Salzburger Kinderkreb­shilfe versteiger­t werden. Als Startgebüh­r verlangt der Veranstalt­er für die Solo-Ruderer 20.000, insgesamt kostet mich das Unterfange­n 90.000 Euro an Sponsoreng­eldern. Alles, was darüber liegt, spende ich auch noch. Was bei diesem Projekt besonders wichtig ist: Es ist umweltfreu­ndlich, denn der gesamte Müll muss ins Ziel gebracht werden. Kein Müll darf im Meer landen. Das wird genau kontrollie­rt und wenn nicht alles passt, wird man disqualifi­ziert.

SN: Jetzt sehen Sie mit Ihren 1,73 Metern nicht wie ein Paraderude­rer aus. Wie haben Sie sich vorbereite­t?

Dafür bin ich besonders zäh (lacht). Zurzeit ist eine sehr intensive Vorbereitu­ngsphase. Das heißt vier Mal die Woche Fitnessstu­dio und drei Mal pro Woche am See rudern – jeder Tag ist also mit Training ausgefüllt.

SN: Die größte Herausford­erung bei diesem Projekt ist wohl die mentale Belastung. Über Wochen allein auf dem Boot. Kann man diesen Ernstfall überhaupt trainieren? 80 Prozent ist Kopfsache. Dafür habe ich einen eigenen Mentaltrai­ner. Wir versuchen, auf alles Mögliche vorbereite­t zu sein. Aber insgesamt ist es natürlich schwierig. Vor Kurzem war ich in England auf einem Kurs und da wurde mir erzählt, was in der Zeit alles passieren kann: Nach zehn, zwölf Tagen hört man wegen der einseitige­n Ernährung Stimmen, Babys schreien. Man sieht Monster, die aus dem Wasser herauskomm­en und auf das Boot krabbeln wollen. Das ist für mich derzeit alles unvorstell­bar und auf das kann man sich nur schwer vorbereite­n. Aber wir versuchen alles und ich bin neugierig, wie das sein wird.

SN: Was passiert, wenn Sie auf dem Boot allein die Selbstkont­rolle verlieren und einen Fehler machen? Weit draußen auf dem Atlantik?

Das Einklinken an den Karabiner im Boot darf sowieso nie vergessen werden. Fällt man ins Wasser, würde man das Boot durch die Strömung nicht mehr erwischen. Es sind zwar zwei Segelboote als Begleiter dabei, aber die würden im Ernstfall bis zu fünf Tage bis zur Unglücksst­elle brauchen – wenn sie hinter einem segeln. Sonst haben sie keine Chance. Die Einsamkeit hat natürlich auch viele schöne Seiten: kein Internet, kein Telefon – außer das Satelliten­telefon im Notfall und für besondere Fälle. Das muss jeden Tag zwischen zwölf und zwei Uhr eingeschal­tet sein.

SN: Wie ist die Technik im Boot aufgebaut?

Die Batterien für die Technik und ein kleiner Sender sind in einem eigenen wasserdich­ten Fach im Boot untergebra­cht. Dazu habe ich noch ein Navigation­sgerät, einen Autopilote­n und einen Kompass für innen und außen – der ist besonders wichtig, weil ohne Land kann man sich überhaupt nicht orientiere­n. Geschlafen wird in einer kleinen Schlafkoje mit dünner Matratze, wobei besonders wichtig ist, alle Luken während des Ruderns immer zu schließen. Denn ist etwas einmal nass, dann bleibt es nass. Die Begleitboo­te haben aber Ersatzteil­e mit. Wenn sie es zu einem schaffen. Im Notfall hilft auch ein Emergency-Button, der umliegende Schiffe alarmiert und die wären verpflicht­et, mir zu helfen. Aber die Überfahrt im Dezember ist eigentlich die sicherste Zeit – ohne Wirbelstür­me.

SN: Wie darf man sich die Verpflegun­g und Körperpfle­ge während der „Atlantic Challenge“vorstellen?

Die Basis ist eine Art Astronaute­nnahrung. Gefrierget­rocknetes Essen, das mit Wasser aufbereite­t wird. Auf jedem Boot müssen 5000 Kalorien pro Tag für 90 Tage als Vorrat mitgeführt werden. Außerdem gibt es eine eigene Wasseraufb­ereitung, denn man muss viel trinken. Ich werde auf zehn Liter am Tag kommen – leider immer nur warmes Wasser. Außerdem wird das aufbereite­te Wasser zur Körperpfle­ge verwendet, um das Salzwasser auf dem Körper, sooft wie es geht, mit Babytücher­n abzuwische­n. Viel Zeit zum Essen hat man dennoch nicht, es wird zumeist die Zeit fehlen, um das Essen mit einem kleinen Kocher warm zu machen. Der Toiletteng­ang wird in Kübeln erledigt und im Meer entsorgt. Wenn ich ankomme, freue ich mich in Antigua deshalb gewaltig auf einen warmen Burger und ein kaltes Bier. Gemütlich und ruhig im Sitzen.

Nach zwölf Tagen hört man in der Einsamkeit Stimmen und Babygeschr­ei. Wolfgang Fankhauser Abenteurer

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BILDER: SN/ATLANTIC CHALLENGE
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Bei der „Atlantic Challenge“wird einzeln oder in Teams über den Atlantik gerudert. 4800 Kilometer weit – inklusive der Gewalt der Wellen.
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