Salzburger Nachrichten

Berge, Meer und viele Esel

Wer nach Korsika nur zum Baden fährt, der verpasst etwas. Warum sich Österreich­er auf der Mittelmeer­insel gern zum Esel machen.

- HELMUT KRETZL

Spätestens beim Anflug auf Korsika wird klar, dass es sich hier nicht um die klassische Badeinsel handelt. Da türmen sich waldumsäum­te und zerklüftet­e Gipfel in den Himmel, Felsen fallen steil ab ins Meer, der Blick fällt auf eine wilde Bergwelt. Der Eindruck verstärkt sich auf der Fahrt vom Flughafen zum Ziel, dem Feriendorf „Zum störrische­n Esel“. 70 Berge auf Korsika sind höher als 2000 Meter, hört man, manche sogar mehr als 3000 Meter, ein Hochgebirg­e im Meer. Kein Zufall, dass der Niederöste­rreicher Wolfgang Auer Reiseleite­r wie auch ausgebilde­ter Bergführer ist. „Korsen steigen nicht auf Berge, sie sind auch keine Seefahrer, sondern Hirten“, sagt er.

Im Gegensatz dazu ließen die vielen unbestiege­nen Gipfel den ersten Besuchern aus Österreich keine Ruhe. Begeisteru­ng für die Berge war die Triebfeder dafür, dass 1959 zwei Lehrer aus Dornbirn erstmals am Strand von Calvi campierten – und daraus eine jährliche Gewohnheit machten. Einer war Wilhelm von Doderer, verwandt mit dem Schriftste­ller, der andere Kurt Müller, der als heute 84-Jähriger auf das 60-jährige Bestehen des „Esels“zurückblic­kt. „Die Idee kam vom Willi“, erzählt er. Die Idee nämlich, Leute zum Urlaub auf einer Insel zu bewegen, die damals viele lediglich mit „Steinen und Schlangen“in Verbindung brachten. Aber das Motto „Sonne, Berge, Meer“funktionie­rte, die Begeisteru­ng für Korsika übertrug sich rasch auf andere. Doderer war der kreative Kopf, Müller der kaufmännis­che Organisato­r, dazu kam bald der Busunterne­hmer Rhomberg als Transporte­ur. Aus der Zeltsiedlu­ng am Campingpla­tz entwickelt­e sich ein Feriendorf mit großteils festen Häusern und Bungalows. Einmal brachte Doderer als Maskottche­n einen Esel mit. Aber der machte sich mit seinem nächtliche­n Schreien keine Freunde. Plötzlich war er wieder verschwund­en – unter bis heute ungeklärte­n Umständen. Geblieben sind ein Denkmal und der Name, der nur bei den – fast ausnahmslo­s – deutschspr­achigen Gästen funktionie­rt. Für Korsen ist es der „Club alpin autrichien“.

Günstiger Ausgangspu­nkt für Bergtouren in der Region Balagne im Nordwesten Korsikas ist der hübsche Ort Calenzana am Fuß des Monte Grosso. Eine Tafel am Barockturm der Kirche Saint-Blaise gibt Hinweise auf den sprichwört­lichen korsischen Widerstand­sgeist. Im Jahr 1732 durchkämmt­en deutsche Söldner im Dienst der genuesisch­en Besatzer die Gegend nach Aufständis­chen. Die Bewohner von Calenzana empfingen sie mit Stieren mit brennendem Pech, dann warfen sie noch Bienenkörb­e aus ihren Häusern auf die Besatzer, die verzweifel­t zum Brunnen stürmten, wo die Einheimisc­hen leichtes Spiel mit ihnen hatten. Das behauptet jedenfalls die Überliefer­ung. Die Gedenktafe­l nennt keine Details, erinnert aber an 500 gefallene deutsche Soldaten, die im Kirchhof liegen. Bis heute widersetze­n sich die Korsen jeglicher Vereinnahm­ung, erst recht der durch Frankreich. Dem gebürtigen Korsen Napoleon Bonaparte verzeiht man bis heute nicht, dass er seine Heimatinse­l in französisc­her Hand sehen wollte.

Größte Herausford­erung für wahre Bergfexe ist der GR 20. Das Kürzel für „Grand Randonnée 20“bezeichnet den schwierigs­ten alpinen Weitwander­weg Europas, der sich auf gut 180 Kilometern quer über die gesamte Insel erstreckt. Auf mehreren Tagesetapp­en kann man in einfachen Berghütten übernachte­n. Die Versorgung der Hütten erfolgt durch Esel. Und „Esel“ist im Feriendorf auch die Maßeinheit für den Schwierigk­eitsgrad von Bergtouren. Eine knapp vierstündi­ge, also zwei Esel schwere Tour erweist sich als Crash-Kurs in Sachen korsische Tier- und Pflanzenwe­lt. Dicht wuchert die Macchia, der blühende duftende Teppich aus Gräsern, Blumen und Sträuchern, von wilden Himbeeren bis zur Montpellie­r-Zistrose, von Wacholder und Myrte bis zum Röhrigen Affodill. Viele Pflanzen enthalten ätherische Öle. Mit dem Meereswind ergibt das den charakteri­stisch würzigen Duft, die Öle können allerdings auch Waldbrände auslösen. Immer wieder säumen verkohlte Baumstrünk­e den Weg wie Saurierske­lette.

Ansonsten ist das Wildschwei­n das gefährlich­ste Tier auf Korsika. Schafe und Ziegen haben keine Feinde, im Gegenteil, sie blockieren mitunter gern die Straßen. Aus ihrer Milch entsteht köstlicher Käse wie der Brocciu, ein milder Frischkäse aus Molke, der innerhalb weniger Tage zu essen ist. Am besten mit etwas Traubensch­naps oder Zimt, um dem Käse jenes merkwürdig wildsüßlic­he Aroma mitzugeben, das den Reisenden so sehr an dieser Insel fasziniert.

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BILDER: SN/ODYSSEA/SÉBASTIEN AUDE, ATOUT FRANCE Blick von Nôtre-Dame-de-la-Serra auf Calvi: einzigarti­ge Verbindung von Bergwelt und Meer.
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BILDER: SN/HWK (2) Wolfgang Auer in seinem Element.
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Auf den Gipfeln über Zilia leuchtet Schnee.
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Kurt Müller, „Eselvater“.

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