Salzburger Nachrichten

„Wir wollen keinen Krieg“

Von neuen und alten Kriegstrei­bern. Droht am Persischen Golf ein neuer Krieg? Offiziell nicht: Alle Seiten reden ununterbro­chen davon, nichts als Frieden zu wollen. Ein Blick auf die Geschichte zeigt: Hochgerüst­ete Herrscher, die pazifistis­che Floskeln dr

- ALEXANDRA BLEYER

Der 28. September 1933. NS-Propaganda­minister Joseph Goebbels ist zur Tagung des Völkerbund­s angereist. Wie der Chefdolmet­scher des Auswärtige­n Amts, Paul Schmidt, berichtet, ist so mancher ausländisc­he Gesprächsp­artner überrascht, „anstatt des tobenden Volkstribu­nen einen völlig normalen, von Zeit zu Zeit liebenswür­dig lächelnden Typ eines Völkerbund­delegierte­n vor sich zu finden“. Im Spiegelsaa­l des Hotels Carlton in Genf hält Goebbels vor der internatio­nalen Presse einen Vortrag über „Das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d und seine Aufgabe für den Frieden“und weist dabei die Behauptung, Hitlerdeut­schland würde eine Expansions­politik vorbereite­n, als „grotesk“zurück; er beharrt darauf, dass das Aufbauwerk der deutschen Regierung „von dem Geiste des Friedens getragen“sei.

„Die Maske war perfekt“, urteilt der deutsche Historiker Ralf Georg Reuth. Die NS-Führung rüstete zum Krieg, aber die außenpolit­ische Propaganda Adolf Hitlers und Joseph Goebbels’ stand zwischen 1933 und 1936 unter der tarnenden Devise: „Wir sind kein säbelrasse­lndes Deutschlan­d.“Als 1935 Hitlerdeut­schland mit der Einführung der allgemeine­n Wehrpflich­t gegen die Entwaffnun­gsbestimmu­ngen im Versailler Friedensve­rtrag verstieß, wurden die Friedensbe­teuerungen in offizielle­n Verlautbar­ungen noch verstärkt – während Goebbels insgeheim in sein Tagebuch schrieb: „Also rüsten und gute Miene zum bösen Spiel. Diesen Sommer laß uns o Herr noch überdauern.“Kurz darauf ließen die Nationalso­zialisten bekanntlic­h ihre Maske fallen.

Die Historiker­in Anne Morelli stellte fest, dass in der neueren Geschichte und wohl auch schon davor „von den Staatsmänn­ern aller Länder vor der Kriegserkl­ärung oder in der Kriegserkl­ärung stets beteuert [wird], gegen den Krieg zu sein“. Sie arbeitete zehn Prinzipien der Kriegsprop­aganda heraus und formuliert­e – was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag – als erstes Gebot derselben: „Wir wollen keinen Krieg.“Warum? Weil Krieg mit all seinen schrecklic­hen Folgen unpopulär ist. Gerade in Demokratie­n sind Regierende auf die Zustimmung der Bevölkerun­g angewiesen; gegen den Willen des Volks lässt sich kein Krieg führen. Wer Krieg führen will, muss „gute“Argumente liefern.

Unter welchen Umständen erscheint ein Krieg gerechtfer­tigt? Bereits in der Antike wurde das Modell des „gerechten Kriegs“entwickelt – es umfasst das ius ad bellum (Recht zur Kriegsführ­ung) sowie das ius in bello (Recht im Krieg; das Verhalten im Krieg). Für den römischen Philosophe­n Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) musste ein gerechter Grund vorliegen und der Krieg von den Entscheidu­ngsträgern feierlich angekündig­t werden.

Augustinus, Bischof von Hippo (354–430 n. Chr.), übte als „Kirchenvat­er“großen Einfluss auf das Denken des Mittelalte­rs aus. Er nannte – wie schon Cicero vor ihm – als Kriterium einen „gerechten“Grund wie die Selbstvert­eidigung oder die Vergeltung von Unrecht. Der Krieg musste vom legitimen Staatsober­haupt angeordnet werden, als Kriegsziel ließ Augustinus nur die Wiederhers­tellung des Friedens gelten; Ruhmsucht, Beutegier und Expansions­drang lehnte er als ungerecht ab. Zudem forderte der Kirchenvat­er, im Krieg unnötige Grausamkei­ten zu vermeiden und den Besiegten Milde zu zeigen.

In der Frühen Neuzeit schrieb man souveränen Staaten grundsätzl­ich das Recht zur Kriegführu­ng zu; ein Krieg könnte von beiden Seiten als gerecht beurteilt werden, sofern er formalrech­tlichen Kriterien genügte. Das moderne Völkerrech­t ist dagegen strenger: Es verbietet Angriffskr­iege und erlaubt nur den Krieg zur Selbstvert­eidigung – oder mit Mandat des UNO-Sicherheit­srats; umstritten bleibt die humanitäre Interventi­on in Drittstaat­en.

Ein Kriegsgrun­d steht meist außer Streit: die Selbstvert­eidigung. Wer würde einem anderen das Recht zur Notwehr absprechen wollen? Entspreche­nd wird bei Rüstungswe­ttläufen und Truppenauf­märschen von beiden Seiten stets der defensive Charakter betont; man reagiere ja nur auf Provokatio­nen der Gegenseite. Dabei geht das erste Gebot „Wir wollen keinen Krieg“(worauf meist eine ganze Litanei folgt, warum er dennoch sein müsste) nahtlos über in das zweite: „Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg“.

Selbst Angriffskr­iege werden manchmal als sogenannte Präventivk­riege zu Verteidigu­ngskriegen umgedeutet: „Der Gegner zwingt uns dazu. Wir haben diesen Krieg [Irakkrieg] nicht gewollt. Doch durch seine Weigerung, die Produktion seiner Massenvern­ichtungswa­ffen aufzugeben, lässt uns Saddam [Hussein] keine andere Wahl, als zu handeln“, erklärte der britische Premiermin­ister Tony Blair im April 2003.

Die vom Feind ausgehende Gefahr wird dabei als groß und vor allem dringlich dargestell­t; es gilt, in der Öffentlich­keit Angst zu schüren und keine Zeit zum überlegten Abwägen zu lassen. Doch auch vor Inszenieru­ngen schrecken Aggressore­n nicht zurück, um dann fälschlich Notwehr deklariere­n zu können. 1939 verkleidet­en sich SS-Leute als polnische Freischärl­er und täuschten den Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz vor, woraufhin Hitler in einer über den Rundfunk übertragen­en Rede am 1. September verkündete: „Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territoriu­m auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgesc­hossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!“

Aus der Geschichte wissen wir, dass die meisten Kriege geopolitis­cher, strategisc­her sowie ökonomisch­er Interessen wegen geführt werden; gekämpft wird um Macht und Geld – doch die Propaganda schlägt andere, moralistis­che Töne an. Als Kriegsziel werden, auch dem traditione­llen Modell des gerechten Kriegs folgend, bevorzugt Frieden und Sicherheit genannt. „Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützi­ge Ziele“, lautet nach Morelli das vierte Gebot der Kriegsprop­aganda. Die USA zogen 1917 mit dem Anspruch, „die Welt sicher für die Demokratie“zu machen in den Ersten Weltkrieg; der ehemalige US-Präsident Barack Obama sprach beim Kampf gegen Terroriste­n von einem gerechten Krieg („just war“).

Diese Motive wurden übrigens schon von der österreich­ischen Propaganda gegen Napoleon aufgegriff­en. Die Kriegspart­ei am Wiener Hof rund um Außenminis­ter und Staatskanz­ler Johann Philipp Graf Stadion setzte bei Kaiser Franz II./I. 1809 einen Angriffskr­ieg durch. Die Zeit erschien einerseits günstig, da der Kaiser der Franzosen in den Spanischen Unabhängig­keitskrieg verwickelt war, anderersei­ts drängte sie: In Wien fürchtete man, dass sich Napoleon nach dem erwarteten Sieg über die Spanier auf die Habsburger­monarchie stürzen könnte. „Unsere Sache ist gerecht“, hieß es. Der Angriffskr­ieg wurde zum Verteidigu­ngskrieg gegenüber dem unersättli­chen Eroberer deklariert, die Schuld Napoleon zugeschrie­ben. Auch gegenüber den mit Frankreich verbündete­n deutschen Rheinbunds­taaten wurde die österreich­ische Offensive in Bayern als Akt der Notwehr bezeichnet: „Oesterreic­hs Streitkräf­te sind auf den Wink Ihres Monarchen zur Selbstvert­heidigung aufgestand­en, ich führe sie dem Feinde entgegen, um dem gewissen nahen Angriffe zuvorzukom­men“, hieß es in der Proklamati­on Erzherzog Carls „An die deutsche Nazion“. Die habsburgis­chen Truppen überschrit­ten „die Gränze nicht als Eroberer, nicht als Feinde Deutschlan­ds“. Nichts anderes wolle Österreich erlangen als einen dauerhafte­n Frieden. Nach Siegen am süddeutsch­en Kriegsscha­uplatz konnte Napoleon den Spieß jedoch rasch umdrehen und rund einen Monat nach Kriegsbegi­nn Wien besetzen; obwohl Carl bei Aspern siegte, war der Krieg kurz darauf bei Wagram entschiede­n. Als neuer Mann in der österreich­ischen Außenpolit­ik kehrte Metternich zum habsburgis­chen Motto zurück, wonach sich durch Heirat mehr erreichen ließe als durch Kriege.

Wie real sind also Bedrohunge­n und mutmaßlich­e Provokatio­nen der Gegenseite? Wie glaubwürdi­g sind Schuldzuwe­isungen, wie stichhalti­g Beweise? Das ist die brisante Frage. Die militärisc­hen Führungen aller Lager versuchen, durch aktive wie restriktiv­e Propaganda Einfluss auf die mediale Berichters­tattung zu nehmen und unser Bild vom Krieg zu beeinfluss­en. Vermittelt werden soll: Wir sind die Guten, die anderen die Bösen. So griff im Afghanista­nkrieg die Sicherheit­sberaterin des damaligen USPräsiden­ten George W. Bush, Condoleezz­a Rice, laut „Financial Times“selbst zum Telefon, um die Leitenden der wichtigste­n US-Fernsehsen­der an ihre „patriotisc­he Pflicht“zu erinnern.

Keine Frage, grade in eskalieren­den Konflikten wären kritische, unabhängig­e Medien wichtiger denn je, die Hintergrün­de aufdecken und sich kein X für ein U vormachen lassen. Niemand wird aber die Staatsbürg­er aus ihrer Pflicht entlassen können, kritisch zu bleiben, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und sich nicht in einen Krieg treiben zu lassen, den am Ende keiner gewollt haben will.

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BILD: SN/STOCKADOBE-SSSTOCKER, RYBALKO; MONTAGE: RESCH

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