Fremdes lehrt uns das Fürchten
Ansichten revidieren. Hans-Jürgen Heinrichs arbeitet als Ethnologe und bringt deshalb ein grundlegendes Interesse für alles Fremde auf. Er findet es aber nicht nur in fernen Kulturen, sondern entdeckt es auch im eigenen Ich, das befremdlich anmuten mag. D
Eine österreichische Gemeinde weigert sich, eine Familie aufzunehmen, weil sie muslimisch ist angeblich nicht zu den Einheimischen passt. So sieht die Herrschaft der Spießer aus. Natürlich geht es anders auch. Wer sagt denn, dass das Fremde immer Angst und Abwehr bereiten muss?
Erst in der Begegnung mit dem anderen, dem Unbekannten, kommen Entwicklung und Fortschritt überhaupt in Gang. „Die Vertrautheit unter Menschen ist nicht die Regel, sondern ein (beglückender) Ausnahmezustand“, schreibt Hans-Jürgen Heinrichs in seinem neuen Buch „Fremdheit. Geschichten und Geschichte der großen Aufgabe unserer Gegenwart“(Verlag Antje Kunstmann). „Die Regel ist vielmehr (...), sich einander fremd zu fühlen, ohne dass dieses Gefühl ein Hindernis für das Zusammensein bedeuten müsste.“Wenn Heinrichs von der Fremdheit schreibt, die uns auf Schritt und Tritt begegnet, geht er als Ethnologe vor, für den es normal ist, dass Wirklichkeiten existieren, die uns unverständlich bleiben. Dabei will er es nicht belassen. Zu seiner Profession gehört herauszubekommen, wie andere denken, fühlen und sprechen. Er versteht sich als „Fremdheitsforscher“, der mit anderen Kulturen in Berührung kommt. Als Vertreter einer subjektiven Ethnologie verzichtet er darauf, theoretische Modelle zu entwerfen, in welche das Unbekannte eingepasst sowie gefügig gemacht wird. Wenn er über Fremdheit schreibt, blendet er sich selbst als einer, der mit dem momentan Unerklärlichen konfrontiert wird, nicht aus. Er bringt zur Sprache, was Fremdes mit ihm macht, wie er darauf reagiert, und versucht, es zu verstehen.
Er verbindet wie seine großen Vorbilder Victor Segalen oder Michel Leiris die analytische Methode mit den Ambitionen eines Schriftstellers, der erhebliche Anstrengungen auf Form und sprachliche Gestaltung legt: „Der Fremde ist ein Namenloser.“Ein solcher war Heinrichs in Niger und Mali, was er zu verspüren bekam, wenn er auf Märkten Kamelfleisch kaufte. Er bekam stets minderwertige Ware, kaum zu verzehren, so hart blieb sie selbst nach endlos langem Kochen oder Braten. Als er einen Schweden traf, der ihn einlud und ihm zartes, wohlschmeckendes Fleisch servierte, erklärte er den Unterschied zwischen ihnen beiden so: „Ich bin für die Marktbetreiber der mit dem Bus. Nicht irgendein namenloser Fremder.“Also ging Heinrichs in die Offensive und warf am nächsten Tag sein Schweizer Messer auf ein Brett an einem Stand, wo es stecken blieb. Jetzt war er der Mann mit dem Messer und erhielt fortan ausgezeichnetes Fleisch.
Natürlich kennt Heinrichs aus eigener Erfahrung, dass die Begegnung mit dem Fremden mit dem Gefühl der Angst einhergehen kann. Für ihn sind Gespräche mit einzelnen Menschen entscheidend, die einen aus der Falle der Vorurteile herauszuholen vermögen.
Dazu kommt die fragwürdige Konstruktion eines Ichs als einer eindeutigen Identität. Der genaue Blick klärt auf, „dass jedes Ich unendlich viele Brechungen in sich birgt und Identität nur eine, wenn auch äußerst nützliche Fiktion ist“. Sigmund Freud verwendete sein Leben darauf, das „wahre, innere Afrika“, das geheime Leben der Seele, zu erforschen.
Alles Fremde ist eine Herausforderung. Es provoziert Abwehr und erzeugt das Bedürfnis, eine Brücke zu bauen. Ohne den Fremden würden wir gar nicht zu uns selbst kommen. Wir definieren uns in Abgrenzung zu den anderen, entwickeln ein Selbstgefühl, indem wir auf Unterschied und Unvergleichlichkeit bestehen. Gleichzeitig ist es für den Ethnologen selbstverständlich,„im Fremden das Eigene“zu erkennen. Das ist nur gerecht, wenn man sich darum bemüht, Anteile von Fremdheit im Ich auszumachen.