Stereotype Bilder.
Der Titel des Buchs wird bis heute in allen möglichen Kontexten herbeizitiert. Insbesondere in den Überschriften von Zeitungsartikeln oder Aufsätzen wird er ständig strapaziert. Joseph Conrads „Herz der Finsternis“scheint ja unsere ganze Furcht vor dem fr
Die Abgrenzung vom „Fremden“braucht wohl jede Kultur, um ein eigenes Selbstbewusstsein aufzubauen. Solche Topoi durchziehen ja die gesamte europäische Kulturgeschichte. Schon die alten Griechen bezeichneten andere Völker als „Barbaren“. Die sind sozusagen der Spiegel, in den wir als die Hochkultivierten sehen können. In extremer Form funktioniert diese Herabsetzung des „anderen“im Verhältnis der Europäer zu Afrika. Dieser Kontinent dient stets als Projektionsfläche für das Grausame, das Finstere. Wir hingegen tragen immer die Fackel der Zivilisation. Besonders prägend für das europäische Afrika-Bild ist die Phase der kolonialen Expansion im 19. Jahrhundert gewesen. Der Schriftsteller Joseph Conrad hat die seinerzeit vorherrschende Geisteshaltung in seiner Erzählung „Herz der Finsternis“akkurat artikuliert. Der Titel dieses literarischen Werks wurde zum klassischen Klischee über Afrika. Das Dickicht des Kongos musste herhalten als Inbegriff der Düsternis Afrikas – ganz so, wie der Elfenbeinhändler Kurtz in Conrads Erzählung am Ende ausruft: „Das Grauen! Das Grauen!“Wenngleich auch in anderen Weltgegenden Schreckliches passiert, wird das „Herz der Finsternis“fast ausschließlich mit Afrika in Verbindung gebracht. Aber es gehe dem Autor doch gar nicht um ein Abbild Afrikas, wenden Leser in Europa ein. Vielmehr seziere der Text den „Allmachtswahn und die Grausamkeit des weißen Mannes“. Nach dieser Interpretation hat Conrad in seiner Erzählung vor allem die Haltung der europäischen Kolonialisten analysiert; der Autor avanciert damit zum Kolonialismus-Kritiker. Aber allem Anschein nach wird dieses Buch von Europäern und Afrikanern ganz unterschiedlich gelesen. Die Europäer entdecken darin ein Psychogramm des europäischen Eroberers; die Afrikaner dagegen sehen hier stereotype Bilder von Afrika ausgestellt. Diese zweite Lesart lässt sich durch Textpassagen begründen, in denen Conrad die Afrikaner als Personen porträtiert, die „Gesichter gleich großen Masken“haben und „fürchterliche Grimassen“schneiden. Schaudern lasse einen, so heißt es an einer anderen Stelle des Buches, „der Gedanke an unsere entfernte Verwandtschaft mit diesem wilden und leidenschaftlichen Aufruhr“.
Klischeebilder bestimmen die inneren Einstellungen von Menschen und beeinflussen damit den Umgang mit dem „Fremden“, dem „anderen“. Umso wichtiger sind Stimmen in unserer Öffentlichkeit, die die Mauer der Vorurteile über den „dunklen Kontinent“durchbrechen und statt des herabwürdigenden, auf Dominanz zielenden kolonialen Blicks einen postkolonialen Blick der Empathie, des Verstehenwollens auf Afrika werfen.
Das „Fremde“ist nicht mehr furchteinflößend, wenn die Denk- und Lebensweise, die Kultur des „anderen“vor Augen geführt wird. Schreibende können zu „Kulturübersetzern“werden, die den Lesern die Gleichwertigkeit von Kulturen und ihre Hybridität zeigen. Zu ihnen zählt der Autor Uwe Timm, der in seinem Roman „Morenga“mit dem Aufstand der Herero und der Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein lange verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte beleuchtet hat. Wenn ein Schriftsteller der Fremde näherrücken will, reicht nach seiner Ansicht allein die Neugier auf das Fremde nicht aus. Die Begierde, etwas Neues zu sehen und zu hören, garantiere noch keineswegs eine Sichtweise, die Verstehen ermögliche. Hinzu kommen müsse das Staunen darüber, wie anders Menschen und Dinge beschaffen sein könnten als man selbst.
Erst die Wahrnehmung dieser Differenz lasse eine Reflexion der eigenen Wahrnehmung zu – und damit die Möglichkeit, den Standpunkt des „anderen“, des „Fremden“zu begreifen und sich selbst zu korrigieren.