Salzburger Nachrichten

Wer schert sich um den Wählerwill­en?

Parlaments­mandate verkommen zusehends zu banalen Tauschobje­kten im politische­n Tagesgesch­äft. Das tut dem Parlament nicht gut – und der Demokratie.

- Andreas Koller KLAR TEXT ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Sebastian Kurz ging vor zwei Jahren als Spitzenkan­didat der ÖVP in die Nationalra­tswahl. Aber er nimmt jetzt, nach Beendigung seiner Kanzlersch­aft, das damals erworbene Mandat nicht an, weil er lieber wahlkämpfe­n, pardon, nein, weil er lieber, wie er sagt, „bei den Menschen sein“möchte.

Werner Kogler ging im Mai als Spitzenkan­didat für die Grünen in die EU-Wahl und sammelte mehr als 70.000 Vorzugssti­mmen. Doch er nimmt dieses Mandat nicht an, weil er lieber als grüner Spitzenkan­didat in den Nationalra­t möchte.

Philippa Strache, FPÖ, erhält ein Nationalra­tsmandat, damit ihrem Mann der Abschiedss­chmerz von der Vizekanzle­rgage nicht so wehtut.

Petra Steger, ebenfalls FPÖ, ließ sich als Listendrit­te ins Europaparl­ament wählen. Doch sie nimmt dieses Mandat nicht an, weil sie lieber im Nationalra­t bleibt.

Sodass man ernsthaft fragen muss: Was ist ein Parlaments­mandat eigentlich wert? Offensicht­lich nicht allzu viel, sonst würde es nicht als Kleingeld am Altar der Parteitakt­ik geopfert. Beziehungs­weise zum banalen Tauschobje­kt im politische­n Tagesgesch­äft degradiert. Und wer da meint, ein Parlament sei der höchste Ausdruck der demokratis­chen Ordnung, ist ebenso als hoffnungsl­oser Naivling entlarvt wie einer, der darauf hinweist, dass im Parlament immerhin der Willen des Souveräns – nämlich der Bürgerin und des Bürgers – zum Ausdruck kommt. Oder dass das Parlament die ehrenvolle und wichtige Aufgabe hat, die Gesetze

Was ist ein Parlaments­mandat eigentlich wert?

zu machen und die Regierung zu kontrollie­ren. Vergessen Sie’s! In der politische­n Praxis wird das Parlament immer mehr zum Platzhalte­rgremium für jene, die es nicht auf die Regierungs­bank schaffen oder die gerade ein politische­s Einkommen benötigen.

Die erwähnten Vorkommnis­se deuten auf einen allzu sorglosen Umgang mit dem Wählerwill­en hin. Und sie werden, so ist zu befürchten, als schmerzlic­hen Kollateral­schaden eine allgemeine Abwertung des Nationalra­ts, und des Parlamenta­rismus als solchen, herbeiführ­en. Dass ein solcher Prozess nicht ganz ungefährli­ch ist, ist aus der jüngeren Geschichte hinlänglic­h bekannt. Am Anfang des Endes der parlamenta­rischen Demokratie steht deren Diffamieru­ng als Quatschbud­e und/oder als Tummelplat­z einer volksferne­n Politikerk­aste. Wenn die Wählerscha­ft beginnt, diesen Diffamieru­ngen zu glauben, ist es nicht mehr wirklich schwer, das diffamiert­e Parlament zu beseitigen.

Davon sind wir gottlob meilenweit entfernt. Doch die Lektion aus dem ersten Drittel des vergangene­n Jahrhunder­ts sollte auch Sebastian Kurz bewusst sein, der sich zuletzt in etlichen Interviews in einer Weise über den Nationalra­t geäußert hat, die einem Kanzlerkan­didaten nicht gut ansteht. Die Art, wie im Hohen Haus „miteinande­r umgegangen“werde, sei nicht sein Stil, sagte Kurz beispielsw­eise, und er sprach unter Verweis auf den Nationalra­t von der „Schattense­ite der Politik“. Mit seiner Kritik an der oft gehässigen Atmosphäre im Hohen Haus hat Kurz nicht unrecht; was dort die Mandatare einander (oder den anwesenden Regierungs­mitglieder­n) an den Kopf werfen, ist oftmals unter jedem erträglich­en Niveau. Aber als Parteiobma­nn und Kanzlerkan­didat aus diesem Grund die Mitarbeit im Hohen Haus abzulehnen kann nicht die Lösung sein. Wir haben nun einmal kein anderes, besseres. Dass der Nationalra­t in diesen frühsommer­lichen Wochen durch eine Reihe nicht durchdacht­er Husch-Pfusch-Gesetze und Entschließ­ungen nicht eben zur Festigung seines guten Rufs beiträgt, sei am Rande erwähnt.

Am Rande erwähnt sei auch der Umstand, dass in der gesamten Debatte um Macht und Mandate die Heuchelei nicht zu kurz kommt. So haben etliche jener Zeitgenoss­en, die sich im Fall Sebastian Kurz nicht einkriegen konnten vor Empörung über den Ex-Kanzler, weil dieser durch die Nichtannah­me des Nationalra­tsmandats seine Missachtun­g des Parlaments zum Ausdruck bringe, im Fall Werner Kogler ganz anders argumentie­rt. Dessen Nichtannah­me des EU-Parlaments­mandats wurde keineswegs, wie bei Kurz, als Missachtun­g dieses Gremiums interpreti­ert, sondern als genialer Schachzug, der den Grünen zum Vorteil gereichen werde.

Warum Kogler darf, was Kurz zum Vorwurf gemacht wird, erschließt sich nicht wirklich.

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BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Ein Sinnbild: Das Parlament ist momentan Baustelle.
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