Kasachstan will eine Brücke bilden
Die zentralasiatische Republik hat den Willen, den Handelsaustausch zwischen Europa und Asien voranzubringen. Sie sucht dabei die großen Nachbarn China und Russland in einer Balance zu halten.
NUR-SULTAN. Vieles in Kasachstans Hauptstadt scheint auf eine Person zugeschnitten zu sein. Als populärste Attraktion gilt der „Bayterek“, ein 97 Meter hoher Aussichtsturm mit einer goldenen Kugel an der Spitze. In der obersten Etage legen viele Brautpaare ihre Hände auf einen Handabdruck des langjährigen Staatsoberhaupts Nursultan Nasarbajew und wünschen sich Glück.
Nursultan heißt hier die renommierteste Universität. Das Nasarbajew-Zentrum soll die Forschung über den kasachischen Staat fördern. Ein Museum von Kasachstans erstem Präsidenten stellt die Auszeichnungen Nasarbajews und die Geschenke seiner Staatsgäste aus. Vor allem heißt die Metropole nicht mehr Astana, also einfach Hauptstadt, sondern neuerdings Nur-Sultan, zu Ehren Nasarbajews.
Was Betrachter von außen als Personenkult erscheint, nennen viele Einheimische eine Anerkennung der Rolle, die der langjährige Herrscher in Kasachstan gespielt hat. Nach bald drei Jahrzehnten an der Spitze der zentralasiatischen Republik hat der inzwischen 79Jährige jetzt die Machtübergabe eingeleitet. Im März hat Nasarbajew seinen Rückzug angekündigt. Im Juni ist Kassym-Schomart Tokajew als Nachfolger Nasarbajews ins Präsidentenamt gewählt worden.
Es ist ein Rückzug auf Raten. Nasarbajew wird als Chef der Regierungspartei Nur Otan, als Vorsitzender des Sicherheitsrates und als „Führer der Nation“auf Lebenszeit weiterhin Fäden der Macht in seiner Hand halten. Nasarbajew hat offiziell die Macht an einen engen Vertrauten übergeben und so dessen Kür als Staatschef begünstigt.
Der 66-jährige Tokajew hat mehr als zehn Jahre lang der Regierung angehört und Kasachstan diplomatisch bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und bei der UNO vertreten. Er ist schon seit längerer Zeit als Nachfolger Nasarbajews gehandelt worden und dürfte jetzt von dessen Autorität profitieren.
Politische Offizielle in Kasachstan betonen, dass die Präsidentenwahl zu Pfingsten eine sehr offene Auseinandersetzung gewesen sei. Kritiker im Land klagen freilich über eine von oben kontrollierte Wahl. Von den sieben Kandidaten habe nur einer nicht die Regierungslinie vertreten, heißt es. Die Opposition gilt als schwach und wenig organisiert. Der Wahltag war begleitet von Protesten in mehreren kasachischen Städten. Die Sicherheitskräfte gingen massiv gegen die Demonstrationen vor. Gegen 1000 Kundgebungsteilnehmer seien Strafen verhängt worden, teilte später die Generalstaatsanwaltschaft mit.
Vor allem die Jugend sei unzufrieden, konstatieren Beobachter. Auch die Umbenennung der Hauptstadt Astana in Nur-Sultan wecke ihren Groll. Dass Tokajew bei einer Wahlbeteiligung von offiziell 77 Prozent lediglich 70 Prozent der Stimmen erhalten hat, deutet auf erste, kleine Risse im etablierten Nasarbajew-System hin. Aber vorerst stehen die Zeichen auf politische Kontinuität. Nasarbajew bleibt eine dominierende politische Figur. Es ist ein riesiges Medienereignis, als er bei der Präsidentenwahl in der Hauptstadt seinen Stimmzettel in die gläserne Wahlurne wirft. Kameraleute kasachischer Fernsehteams schubsen andere Beobachter beiseite. Normale Stimmbürger haben daher kaum die Möglichkeit, mit ihrem Handy ein Foto vom „Vater der Nation“zu machen. Bei einer Pressekonferenz im prächtigen Präsidentenpalast („Akorda“) betont Nasarbajews Nachfolger seine Loyalität zum bisherigen Kurs. In Kasachstan gelte zwar die Meinungsfreiheit vollständig, versichert Tokajew. Doch die Demonstrationen bei der Wahl seien „illegal “gewesen. Die Protestierenden hätten die Polizei provoziert und „die Sicherheit unserer Bürger“ gefährdet. Eine Form des Dialogs sei vonnöten, sagt der neue Präsident. Er verspricht Handeln statt Deklamationen, etwa einen strikten Kampf gegen die Korruption.
Nasarbajew hat die Entwicklung des seit 1991 unabhängigen Kasachstan geprägt; und dreierlei scheint dafür kennzeichnend zu sein.
Es gibt erstens den nachhaltigen Versuch, das Land zu modernisieren. Vizeaußenminister Roman Vassilenko teilt mit, dass die Wirtschaft auch in diesem Jahr um etwa vier Prozent wachsen werde. Hauptziel des Landes sei es, Kasachstan bis zum Jahr 2050 in den Kreis der 30 am stärksten entwickelten Nationen der Welt zu führen.
Kasachstan bemüht sich zweitens, die großen Mächte, die wirtschaftlich und politisch auf das zentralasiatische Land Einfluss nehmen, in einer Balance zu halten. „Wir haben starke Beziehungen zu Russland, aber auch zu China,“betont Vassilenko. Mit Russland hat Kasachstan nicht nur eine mehr als 7600 Kilometer lange gemeinsame Grenze, sondern auch eine strategische Partnerschaft. Mit Peking hat das Land eine Beteiligung an der chinesischen Infrastrukturinitiative „Neue Seidenstraße“vereinbart. Kasachstan sieht sich als Brücke zwischen Europa und Asien und in besonderer Weise geeignet, den Handel zwischen beiden Kontinenten voranzubringen.
Kasachstan trachtet drittens danach, zu einer eigenständigen Identität zu gelangen. Das Land hat nach dem Zerfall der Sowjetunion das Atomversuchsgelände von Semipalatinsk geschlossen und das eigene Nukleararsenal – das viertgrößte der Welt – aufgegeben. Kasachstan versteht sich seither als Führer der Bewegung für Denuklearisierung und nukleare Sicherheit.
An der Architektur der Hauptstadt lassen sich Kasachstans Ambitionen ablesen. Mit dem Metropolenwechsel von Almaty nach Astana 1997 sollte die Hauptstadt weg von der südlichen Grenze und stärker ins Zentrum des Landes rücken. Man wollte das graue bauliche Erbe der Sowjetzeit tilgen und stattdessen einen Mix aus europäischen und asiatischen Traditionen (typisch „eurasisch“) finden. Astana ist folglich eine konstruierte Stadt mit bunten, futuristischen Bauten. International renommierte Architekten haben das Stadtbild geschaffen. Der Japaner Kisho Kurokawa entwarf das Design der Metropole. Der Brite Norman Foster setzte mit extravaganten Bauten Akzente, etwa mit der Shopping Mall Khan Shatyr, die in der obersten Etage einen künstlichen Strand bietet.
Noch gibt es in der kasachischen Metropole fast durchwegs Hinweisschilder in kyrillischer Schrift. Aber künftig sollen die jungen Leute neben den beiden Staatssprachen Kasachisch und Russisch verstärkt auch Englisch lernen. Mit dem Einzug des Englischen sollen künftig im öffentlichen Bereich auch Bezeichnungen in lateinischer Schrift zu finden sein, was das Fortkommen westlicher Besucher erleichtern dürfte.