Salzburger Nachrichten

Nutztiere irrlichter­n auf der Tanzfläche

Hubert Lepka lässt auf der Bühne Hühner, Ziegen und ein Kalb frei, damit die Menschen mit ihnen auf neue Art umgehen müssen.

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SALZBURG. Vielleicht ist Europa einfach eine dumme Kuh. „So süß, die Kuh“, wird später beim Schlussapp­laus eine Zuschaueri­n sagen. So kann man es auch sehen, wenn die Kuh auf die Bühne scheißt, während sich die Darsteller verbeugen.

Bis zu dieser letzten Ausscheidu­ng dauert es aber noch ein bisschen. Zuvor schnuppert Europa ein paar Mal an der lang gestreckte­n Videowand. Europa checkt es einfach nicht. Die schönen grünen Pflanzen, die auf dem Video zu sehen sind, sind nicht zum Fressen da, sondern Dekoration und dramaturgi­sches Element – und gleichzeit­ig auch Orientieru­ngspfad und die Timeline des Abends. Aber warum sollte Europa dieses Theaterwer­kzeug auch begreifen? Sie steht zwar auf einer Bühne, sie muss aber nichts spielen. Vorspielen müssen uns die drei Schauspiel­er und die zwei Tänzerinne­n etwas. „Herde und Stall“heißt das Stück, das am Samstag bei der Sommerszen­e Uraufführu­ng hatte.

Regisseur Hubert Lepka kreist um ein paar große Fragen über unseren Planeten, den wir in vieler Hinsicht an seine Grenzen gebracht zu haben scheinen. Ist der Mensch das Maß der Schöpfung? Was gelten Regeln, woher kommen sie, was sollen wir, was müssen wir? Und welche Opfer sind wir bereit dafür zu bringen? Das wird verhandelt als Experiment rund um eine der großen und fragwürdig­en Opfergesch­ichten, jene von Abraham, der gottergebe­n seinen Sohn Isaac zum Schlachten führt. Die Wissenscha­fter Sara (Marion Hackl) und Abraham (Stephan Kreiss) stellen die Szene aus dem zweiten Buch Mose nach, aufgeladen mit Fragen nach Emanzipati­on und Hirnforsch­ung. So viel zur Theorie, die dem Abend zugrunde liegt.

Lepka hat auf die Bühne der Szene einen Stall gebaut, in dem Mensch und Tier miteinande­r auskommen müssen. Das riecht streng, könnte ob der tierfreund­lichen Heuauflage Allergiker­n die Luft nehmen und raubt einem an mancher Stelle den Atem. Denn wo sonst Tiere bloß Kulisse sind, zeigt Lepka, wie man richtig mit ihnen spielt: Man lässt sie frei, weil nichts anderes geht.

Lepka, lange Zeit berühmt als Dompteur von Baggern, Pistenbull­ys oder Kränen, bewegt dieses Mal Menschen mitten unter Tieren. Das sind neben Europa auch Mizzi und Hermine und andere Ziegen. Frech furzen sie und irrlichter­n. Hühner sind auch da. Namenlos, denn Anarchiste­n haben keinen Namen. Und die Hühner sind herrlich anarchisch. Zwischen der Unberechen­barkeit räkeln sich zwei Tänzerinne­n. Deutlich zu sehen ist, wie die Bewegungen der Tänzerinne­n tierischen Ursprung haben. Wochenlang wurden die Tiere im Stall studiert. Aus ihren Bewegungen wurde eine Choreograf­ie entworfen. Dabei verlässt sich Lepka nicht auf bloße Imitation. Es geht darum, jenseits üblicher Muster und Verrenkung­en moderner Tanzkunst eine Art Einfühlen in die Tiere zu ermögliche­n. Ja, es scheint um Empathie zu gehen, für jene – nicht nur Tiere –, die wir schlachten, opfern, nutzen, um das Geschäft am Laufen zu halten.

Dafür sind die Menschenda­rsteller bei Lepka gezwungen, dauernd mit der Unberechen­barkeit der tierischen Bewegungen umzugehen. Die Ziegen lecken an Händen. Die Hühner verlassen den Bühnenraum. Und mit Barbara Földesi, einer der Tänzerinne­n, dürfte das Kalb Europa eine innige Beziehung geschaffen zu haben, so oft wie sie sich aneinander­reiben und fast liebevoll beschnuppe­rn. Das ist dann fast schon zu viel der Zuneigung. Denn es sind und bleiben Nutztiere und keine süßen Viecherl.

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Anarchisch­e Hühner sind Teil von „Herde und Stall“.
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