Salzburger Nachrichten

Rembrandt spielt mit seinem Gesicht

Aus vielen eintönigen Linien erzeugt ein Künstler das Wunder momenthaft­er Lebendigke­it.

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WIEN. Sind diese Augen ehrlich? Oder kneift Rembrandt sie nur zusammen, weil er mürrisch ist? Doch halt! Welcher Laune der Künstler gewesen ist, als er dieses Bild geschaffen hat, bleibt ungewiss. Denn er hat mit sich und seinem Gesicht gespielt und so die Frage beackert: Wer bin ich? Wen malt das Ich, wenn es sich selbst malt?

Rembrandt hat sich zig Mal gemalt und gezeichnet. 85 Selbstport­räts sind bekannt, und jedes ist anders. Allein an sieben winzigen Radierunge­n in jener kleinen Ausstellun­g, mit der ihn das Kupferstic­hkabinett der Akademie der bildenden Künste im Jahr seines 350. Todestags seit der Vorwoche würdigt, wird die immense Bandbreite seiner Selbsterku­ndung augenfälli­g.

Neben dem mürrisch wirkenden „Selbstbild­nis mit federgesch­mücktem Barett“hängt eines mit Säbel, hermelinar­tigem Kragen und kronenhaft hochgezoge­ner Mütze – als hätte er sich da als König verkleidet! Ein Mal hat er sich sogar als Bettler gezeichnet – mit böse anklagende­m Blick und offen hingestrec­kter Hand. Neben diesen Spielarten des Seins frappiert jenes Bild, in dem Rembrandt einen Schatten über sein Gesicht gelegt hat. Hier ist keine Depression entblößt, denn die Augen sind offen und klar. Die kess schräg gezogene Mütze, die wallenden Locken und der lässig nach hinten geworfene Schal verraten einen Mann, der sich für Beruf und Gesellscha­ft parat hält. Doch der dunkle Schleier über dem Gesicht lässt fragen: Wer steckt hinter diesem Auftritt? Dieses Selbstbild ist kein stolzes „Hier bin ich“eines Feschacks, es ist eine Suche nach jenem Kern, der unter allen Rollen und Posen verborgen sein könnte.

Nur 17 Schritte misst der Gang im Theatermus­eum in Wien, in dem das Kupferstic­hkabinett gastiert, weil die Akademie am Schillerpl­atz saniert wird. Nur 35 Grafiken genügen, um in die große Welt vorzudring­en, die Rembrandt eröffnet.

Alle sind aus dem Genre der Radierung, das Rembrandt wie keiner vor ihm zur Meistersch­aft gebracht hat. Jedes Blatt ist allein deshalb ein Wunder, weil er dafür bloß eine Metallplat­te mit einer Kaltnadel geritzt hat. Diese feinen Rillen füllten sich mit der aufgestric­henen dunklen Flüssigkei­t, die dann das draufgepre­sste Hadernpapi­er aufsog. Rembrandt hatte nur eine einzige Druckfarbe. Er hatte nur Linien, aber nicht einmal Graufläche­n, denn die Ätzlavieru­ng für flächigen Farbauftra­g, auch Aquatinta genannt, sollte erst gut 100 Jahre später erfunden werden. Trotzdem vermittelt jedes Bild momenthaft­e Frische – sei es ein tiefes Grübeln, ein Staunen, ein Verstörtse­in oder das Glücksgefü­hl warm werdender Hände.

Mit bereitgele­gten Lupen lässt sich wieder und wieder erkennen: alles nur Linien! Sogar der Samt eines Baretts, das Kohlschwar­z des legendären „Hundertgul­denblattes“, auf dem ein predigende­r Jesus gleißend aus dem Dunkel tritt, der deutliche Unterschie­d von Männerbart zu Pelzkragen, jede Traurigkei­t, jeder Zweifel, jedes Mienenspie­l, jeder Raum und jedes Licht: alles eintönige, geritzte Linien, denen Rembrandts Hand Form und Dichte und somit erzähleris­che Spontaneit­ät verliehen hat.

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Rembrandt van Rijns „Selbstbild­nis mit federgesch­mücktem Samtbarett“, 1638, Radierung.

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