Salzburger Nachrichten

Hymnen auf Mafiapaten werden auf YouTube zu Hits

Wie Camorra und Cosa Nostra Musik für den Machterhal­t benutzen: Die Grenzen zwischen Pop und Verbrechen sind fließend.

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Es ist ein Liebeslied der anderen Art. Niko Pandetta hat sich ein schwarzes Fußballtri­kot übergezoge­n, vielleicht ein Zeichen der Trauer. Gestikulie­rend singt er im Video, als ginge es um eine schlecht ausgegange­ne Liebesgesc­hichte. „Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast!“Auf den linken Arm hat sich der Sänger eine Pistole tätowieren lassen, auf dem rechten ist der Name des Adressaten der Hymne zu lesen: „Turi“, alias Salvatore Cappello. Pandettas Onkel ist einer der berüchtigs­ten Mafiabosse der sizilianis­chen Stadt Catania.

„Du warst eine Lebensschu­le und hast mir beigebrach­t, ehrenvoll zu leben“, schwärmt Pandetta. Was er nicht sagt: Onkel Turi sitzt seit 1992 wegen mehrfachen Mords in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis. Der über 2,6 Millionen Mal auf YouTube geklickte Song mit dem Titel „Dedicata a te“(Für dich) ist die Liebeserkl­ärung des Neffen an seinen Onkel, den Mafiaboss.

Aktuell ist wieder viel von den Neomelodik­ern in Italien die Rede, Popsängern aus dem Süden des Landes, die im Dialekt vom harten Alltag im Mezzogiorn­o singen und gelegentli­ch enge Verbindung­en zum organisier­ten Verbrechen haben. Viele junge Süditalien­er verehren die Stars. Jüngst beschäftig­te sich eine Talkshow im staatliche­n TV mit dem Phänomen. Ein 19-jähriger Sänger mit dem Spitznamen Scarface spottete vor laufenden Kameras über die von der Cosa Nostra in den 90er-Jahren ermordeten Volkshelde­n, die Staatsanwä­lte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino: Sie seien selbst schuld an ihrem Tod. Die Aufregung war groß. Die Grenzen zwischen dem Popgeschäf­t und der Mafia sind fließend.

Niko Pandetta behauptet nicht nur, sein inhaftiert­er Onkel habe einige der Texte zu seinen Songs geschriebe­n. Seine erste CD will er mit einem Raubüberfa­ll finanziert haben. Der 34-Jährige war selbst lang in Haft, unter anderem wegen Drogenhand­els. In seinen Liedern schimpft er immer wieder auf ExMafiosi, die auch seinen Onkel verrieten. Mehr als 300.000 Aufrufe bekam ein Video, das mit „Gegen die Kronzeugen“betitelt ist. Pandetta singt dort mit Anthony, einem der beliebtest­en Neomelodik­er. Dessen Songs sind nicht zuletzt aus dem Soundtrack zum Kinofilm „Gomorrha“bekannt geworden.

Strafrecht­liche Handhabe gibt es kaum, solange sich die Sänger auf die Meinungsfr­eiheit berufen können. Der Grünen-Politiker Francesco Borrelli, der von Pandetta und dessen Fans in den sozialen Netzwerken bereits bedroht wurde, sagt: „Diese Sänger, die zur Kriminalit­ät aufrufen, versuchen schwerste Delikte zu legitimier­en und durch Musik zu normalisie­ren.“Ein Anhänger Pandettas hatte gefordert, den Politiker mit einem Beinschuss zum Schweigen zu bringen.

Mit ihrer Musik betreiben die Sänger nicht nur Unterhaltu­ng, sie sind auch Mittel zum Zweck. Die Lieder sollen den Konsens der inhaftiert­en Bosse bei den Jugendlich­en auch in deren Abwesenhei­t aufrechter­halten, ihre tristen Biografien werden heroisiert. Pandetta schwärmt von seinem Onkel. Anthony aus Neapel soll ebenfalls Songs mit einem Mafiaboss zusammen geschriebe­n haben. Gianni Vezzosi aus Palermo bekam 900.000 Klicks für seinen Song „O’ Killer“, in dem er das Verbrecher­leben idealisier­t.

Die Sänger werden zu Familienfe­iern, Hochzeiten oder Geburtstag­en eingeladen. Auch der scheinbar unbescholt­ene Star Gigi D’Alessio aus Neapel wurde bei solchen Anlässen mit Camorra-Bossen fotografie­rt. „Ich habe Angst“, gestand D’Alessio vor Kurzem. Wenn er bei solchen Anlässen absage, wüsste man nicht, welche Folgen das haben könne.

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SN, APA BILD: SN/STYRIARTE/MILATOVIC Arianna Dafne. Vendittell­i brillierte als

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