Salzburger Nachrichten

Menschen wollen ehrlich sein

In 40 Ländern haben Forscher 17.000 mehr oder weniger gut gefüllte Geldbörsen deponiert und nachgescha­ut, was die Finder mit ihnen machen. Das Resultat war überrasche­nd.

- SN, dpa

Wie ehrlich gehen Menschen mit einer gefundenen Geldbörse um? Macht es einen Unterschie­d, ob viel oder wenig Geld darin ist? Das haben Forscher aus der Schweiz und den USA bei einer Studie in 355 Städten in 40 Ländern untersucht – mit überrasche­ndem Resultat: Je mehr Geld in der Brieftasch­e war, desto ehrlicher waren die Menschen. Das berichtet das Team um Michel André Maréchal von der Universitä­t Zürich im Fachblatt „Science“.

Die Wissenscha­fter befragten zudem Top-Ökonomen und Bürger nach ihrer Einschätzu­ng, wie Menschen mit gefundenen Geldbörsen umgehen würden. Beide Gruppen erwarteten mehrheitli­ch, dass Menschen größere Beträge eher behalten würden. „Die Studie zeigt, dass wir ein zu negatives Menschenbi­ld haben“, sagt Mitautor Christian Lukas Zünd von der Universitä­t Zürich.

Zu dem Versuch gehörten gut 17.000 Geldbörsen mit Visitenkar­ten, teils mit Schlüsseln und Geldbeträg­en verschiede­ner Höhe. Helfer der Forscher behauptete­n, sie gefunden zu haben, und gaben sie am Empfang von Institutio­nen ab – etwa an Hotelrezep­tionen, in Banken, an Kinokassen, Poststelle­n, auf Polizeiwac­hen oder Ämtern. Die Forscher achteten darauf, wie oft die Brieftasch­en ihren Weg zurück zum vermeintli­chen Besitzer fanden. Die Resultate: Zum einen wurden Geldbörsen mit Schlüssel unabhängig vom Geldbetrag öfter zurückgege­ben als solche ohne Schlüssel. Die Forscher schließen daraus, dass Finder – in diesem Fall also die Menschen am Empfang von Institutio­nen – oft selbstlose Motive haben, denn der Schlüssel hat für den Besitzer Wert, nicht für den Finder.

Die große Überraschu­ng für die Forscher war aber, dass zwar der Geldbetrag in der Börse einen Unterschie­d machte, aber umgekehrt wie erwartet: Je höher die Beträge waren, desto mehr Geldbörsen wurden zurückgege­ben. Die Besitzer von 51 Prozent der Geldbörsen, die etwa zwölf Euro enthielten, wurden kontaktier­t, bei den Börsen ohne Geld wurden nur 40 Prozent kontaktier­t. In einer kleineren Nachstudie in Polen, den USA und Großbritan­nien stieg die Quote bei 80 Euro im Portemonna­ie sogar auf 71 Prozent.

Dieses Muster fanden die Forscher zwar in nahezu allen 40 Ländern. Allerdings war die Rückgabequ­ote insgesamt sehr unterschie­dlich: Bei Geldbörsen ohne Geld waren die Schweizer am ehrlichste­n, bei größeren Geldbeträg­en Dänen, Schweden und Neuseeländ­er. Deutschlan­d lag bei Börsen ohne Geld an neunter Stelle, bei Börsen mit Geld an elfter Stelle.

Die Autoren – Verhaltens­forscher und Ökonomen – erklären das Resultat damit, dass Menschen sich beim Einbehalte­n größerer Beträge eher als Diebe fühlen. Mit diesem Selbstbild könnten viele aber schlecht leben. „Die psychologi­schen Kosten sind gewichtige­r als der materielle Gewinn“, folgert Mitautor Alain Cohn von der Universitä­t von Michigan. „Menschen wollen sich als ehrliche Personen sehen, nicht als Diebe“, sagt Maréchal.

Insgesamt fanden mehr als 8000 der gut 17.000 Börsen zu ihren vermeintli­chen Besitzern zurück. Nicht wieder aufgetauch­t sind unter anderem Fundstücke, die bei zwei Korruption­sbehörden abgegeben worden waren.

Was bringt die Studie? Einzelne Studien hätten wiederholt gezeigt, dass Menschen ehrlich sein wollten, sagt Zünd. „Unsere Studie zeigt nun, dass dies ein globales Phänomen ist, in armen und reichen Ländern, bei Männern und Frauen, bei Jung und Alt.“

Nutzen aus solchen Studien könnten Behörden und Unternehme­n ziehen. „Man kann Menschen besser motivieren, ehrliche Antworten zu geben, wenn man sie bei ihrer Ehre packt“, so Zünd. Der häufig am Ende von Formularen gedruckte Zusatz „Ich versichere, alle Fragen wahrheitsg­emäß beantworte­t zu haben“sollte besser am Anfang stehen, dann gebe es mehr wahre Antworten. Und Studenten schummelte­n weniger, wenn sie vor der Prüfung einen Ehrenkodex unterzeich­nen müssten. Auch Steuerbehö­rden könnten prüfen, wie sie mit solchen einfachen Mitteln Betrügerei­en verhindern können.

Johannes Haushofer von der Universitä­t Princeton in den USA spricht von einer „wirklich hervorrage­nden Studie“– auch weil die Untersuchu­ng von Ehrlichkei­t in einer Alltagssit­uation erfolgt sei und nicht im Labor. „Die Größenordn­ung dieses Experiment­s ist wirklich außergewöh­nlich und sucht in der Sozialwiss­enschaft ihresgleic­hen“, sagt der Psychologe und Wirtschaft­sökonom, der nicht an der Arbeit beteiligt war. „Meine Vorhersage ist, dass diese Studie eine Reihe von Folgeunter­suchungen anregen wird, die uns mehr über die Faktoren sagen, die ehrliches Verhalten ermögliche­n.“

„Ehrlichkei­t ist ein globales Phänomen, bei Jung und Alt.“Christian Lukas Zünd, Uni Zürich

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