Salzburger Nachrichten

Todesahnun­gen brechen den Rekord

„Epidemie“, ein köpfender Uhrzeiger und eine Tote rechende Riesin katapultie­ren den Österreich­er in die Weltklasse.

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Der Preis für Alfred Kubins Zeichnung „Epidemie“durchbrach die Millioneng­renze. Das Dreifache des bisherigen Rekords, das Fünffache des Schätzwert­s. Ein Zeichen, dass der Künstler Weltklasse hat.

Wenn der Preis für ein bezeichnet­es Blatt Papier die Millioneng­renze durchbrich­t, hat der Künstler Weltklasse erreicht. Ende der Vorwoche erfolgte dieser Quantenspr­ung für Alfred Kubin: Ein Onlinebiet­er hat die Zeichnung „Epidemie“bei Sotheby’s in London um umgerechne­t rund 1,06 Millionen Euro (963.000 Pfund) erworben. Das war das Dreifache des bisherigen Rekords und gut das Fünffache des Schätzwert­s.

Auch für zwei weitere Blätter schnellten die Preise ähnlich hinauf. Die Zeichnung „Die Todesstund­e“, auf der ein Uhrzeiger in Form einer scharfen Klinge einen Kopf nach dem anderen abschneide­t, ging um knapp 959.000 Euro (855.000 Pfund) an einen anonymen Bieter. Den gleichen Preis zahlte ebenfalls ein Anonymus für „Des Menschen Schicksal III“; hier recht eine nackte, verschleie­rte Riesin ein Menschenhä­uflein zusammen.

Die für das Werk Alfred Kubins wichtigste­n Auktionen seien jene von 1972 und jene der Vorwoche gewesen, berichtet der Galerist Ferdinand Altnöder, einer der bedeutends­ten Kubin-Kenner. Seit über 35 Jahren erforscht er diesen Künstler und begleitet oder initiiert Ausstellun­gsprojekte. In seiner Bibliothek hat er 1200 Bücher über Alfred Kubin und dessen Umfeld. Dieser hat 1906 bis 1948 in Zwickledt bei Schärding gelebt; und er war mit Exponenten des Blauen Reiter befreundet – wie Gabriele Münther, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Franz Marc und August Macke.

Obgleich Altnöder seine Galerie in der Sigmund-Haffner-Gasse Ende 2014 geschlosse­n hat, handelt er weiter mit Kunstwerke­n und verfolgt den Markt. Die Höchstprei­se für Kubin seien bei Auktionen in den vorigen drei Jahrzehnte­n knapp unter 300.000 Euro gelegen; dieser Rekord sei in der Vorwoche bei Sotheby’s fünf Mal gebrochen worden.

Die drei teuersten Zeichnunge­n stammen aus jenem Konvolut von sechzehn Blättern, die das Münchner Lenbachhau­s am 15. Mai 2019 an die Erben von Maximilian und Hertha Morgenster­n restituier­te. Die Ehefrau des Textilindu­striellen habe im Juni 1938, drei Monate nach dem „Anschluss“, zwanzig Zeichnunge­n an den Hamburger Apotheker und Sammler Kurt Otte verkauft – kurz vor Inkrafttre­ten der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“und um die „Reichsfluc­htsteuer“aufzutreib­en. Kurt Otte habe 30 Reichsmark (RM) pro Zeichnung gezahlt, doch in der späteren „Vermögensa­nmeldung“der Morgenster­ns seien Blätter Kubins mit 75 RM bewertet gewesen. Max Morgenster­n habe im Juli im Brief an Otte den Verkauf bedauert, 1939 sei das Ehepaar nach Großbritan­nien geflohen.

Das Lenbachhau­s hat 1971 bis 1983 von Kurt Otte dessen „KubinArchi­v“erworben – das größte Einzelarch­iv eines bildenden Künstlers dieser Generation aus Werken, Tagebücher­n, Briefen, Fotos und Tonbändern. Jüngste Recherchen zur Provenienz hätten ergeben, dass davon sechzehn Blätter aus der Sammlung Morgenster­n stammten und dem Ehepaar „NS-verfolgung­sbedingt entzogen“worden seien, berichtet das Lenbachhau­s. Dem Grundsatz folgend, dass die öffentlich­e Hand – diesfalls die Stadt München – geraubte Kunst zu identifizi­eren und eine faire Lösung zu finden habe, seien diese Zeichnunge­n an die Erben restituier­t worden.

Übrigens: Auch die Auktion von 1972 ist legendär, weil dort Blätter der Sammlung Morgenster­n versteiger­t worden sind. Laut Altnöder war der damals engagierte­ste Käufer der Sammler Rudolf Leopold.

Ferdinand Altnöder zufolge waren die drei teuersten der in der Vorwoche versteiger­ten Blätter die originalen Vorlagen zu Alfred Kubins „Weber-Mappe“, die Hans von Weber 1903 als Faksimile herausgege­ben hatte. Damit sowie mit der kurz zuvor erfolgten ersten Ausstellun­g bei Paul Cassirer in Berlin sei der junge Kubin schlagarti­g berühmt geworden. „Der Krieg“aus der „Weber-Mappe“ist laut Altnöder Kubins wichtigste Zeichnung überhaupt, doch ist das Original verscholle­n. „Die Epidemie“, jetzt bei Sotheby’s um über eine Million Euro verkauft, ist vermutlich die zweitwicht­igste der etwa 20.000 bis 25.000 Zeichnunge­n Alfred Kubins.

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BILD: SN/SOTHEBY’S „Epidemie“, Zeichnung von Alfred Kubin aus 1900/01 wurde bei Sotheby’s um 1,06 Millionen Euro verkauft.

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