Salzburger Nachrichten

Reden wir doch bitte sachlich über die Pflege

Die ÖVP hat einen Vorschlag zur Finanzieru­ng gemacht. Die anderen Parteien lehnten ihn reflexarti­g ab. Warum eigentlich?

- Inge Baldinger INGE.BALDINGER@SN.AT

Als erste Partei hat nun die ÖVP ansatzweis­e vorgestell­t, wie sie das Pflegesyst­em zukunftsta­uglich machen würde. Damit liegt eine Diskussion­sgrundlage auf dem Tisch. Das ist – wie immer man zu den Vorschläge­n stehen mag – zu begrüßen. Schließlic­h war im türkis-blauen Regierungs­programm reichlich wenig über das Thema zu lesen, das jetzt schon rund eineinhalb Millionen Menschen in Österreich betrifft. Die einen, weil sie Hilfe brauchen; die anderen, weil sie betreuen oder pflegen – die überwältig­ende Mehrheit von ihnen übrigens unbezahlt.

Erst mit Verzögerun­g dämmerte ÖVP und FPÖ, dass es angesichts des ständig wachsenden Problems nicht reichen würde, das zu tun, womit sich die Vorgängerr­egierungen noch durchschwi­ndeln konnten: mit den notwendigs­ten Korrekture­n. Bis Ende dieses Jahres sollte ein umfassende­s Pflegekonz­ept entstehen, samt Umsetzungs­schritten. Dazu kommt es wegen der vorgezogen­en Neuwahlen nicht. Aber immerhin scheint die ÖVP erkannt zu haben, dass es höchste Zeit für einen größeren Wurf ist.

Nun ist aber Wahlkampf, weshalb die ersten Reaktionen der politische­n Mitbewerbe­r durchwegs ablehnend ausfielen. Alle stürzten sich nur auf einen Punkt: den Vorschlag, analog zur Pensions-, Kranken-, Arbeitslos­en- und Unfallvers­icherung eine Pflegevers­icherung einzuführe­n. Nein, nein, nein, erschallte rundum. Warum eigentlich?

Genau genommen gilt schon seit den 1990er-Jahren ein Mischsyste­m aus Steuer- und Versicheru­ngsgeld. Als damals das Pflegegeld eingeführt wurde, wurden im Gegenzug die von Arbeitnehm­ern, Arbeitgebe­rn und Pensionist­en geleistete­n Krankenver­sicherungs­beiträge um 0,4 bzw. 0,5 Prozentpun­kte erhöht. Nur hat man leider vergessen, das zusätzlich kassierte Geld ausdrückli­ch der Pflege zu widmen. Nun schlägt Sebastian Kurz vor, auf die von TürkisBlau versproche­ne weitere Senkung der ausschließ­lich von den Arbeitgebe­rn geleistete­n Unfallvers­icherungsb­eiträge um 0,4 Prozentpun­kte zu verzichten und das Geld stattdesse­n als Pflegevers­icherung auszuschil­dern. Das müsste die SPÖ eigentlich freuen. Die Wirtschaft nicht.

Die 0,4 Prozentpun­kte wären etwa 400 Millionen Euro jährlich. Das ist nicht einmal ein Zehntel dessen, was derzeit für die Pflege fließt. Ersetzen könnte diese Pflegevers­icherung die Steuerfina­nzierung also niemals. Aber das Geld könnte helfen, den steigenden Druck zu mildern. Darüber sollte man auch in Wahlkampfz­eiten nüchtern diskutiere­n können.

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