Reden wir doch bitte sachlich über die Pflege
Die ÖVP hat einen Vorschlag zur Finanzierung gemacht. Die anderen Parteien lehnten ihn reflexartig ab. Warum eigentlich?
Als erste Partei hat nun die ÖVP ansatzweise vorgestellt, wie sie das Pflegesystem zukunftstauglich machen würde. Damit liegt eine Diskussionsgrundlage auf dem Tisch. Das ist – wie immer man zu den Vorschlägen stehen mag – zu begrüßen. Schließlich war im türkis-blauen Regierungsprogramm reichlich wenig über das Thema zu lesen, das jetzt schon rund eineinhalb Millionen Menschen in Österreich betrifft. Die einen, weil sie Hilfe brauchen; die anderen, weil sie betreuen oder pflegen – die überwältigende Mehrheit von ihnen übrigens unbezahlt.
Erst mit Verzögerung dämmerte ÖVP und FPÖ, dass es angesichts des ständig wachsenden Problems nicht reichen würde, das zu tun, womit sich die Vorgängerregierungen noch durchschwindeln konnten: mit den notwendigsten Korrekturen. Bis Ende dieses Jahres sollte ein umfassendes Pflegekonzept entstehen, samt Umsetzungsschritten. Dazu kommt es wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht. Aber immerhin scheint die ÖVP erkannt zu haben, dass es höchste Zeit für einen größeren Wurf ist.
Nun ist aber Wahlkampf, weshalb die ersten Reaktionen der politischen Mitbewerber durchwegs ablehnend ausfielen. Alle stürzten sich nur auf einen Punkt: den Vorschlag, analog zur Pensions-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung eine Pflegeversicherung einzuführen. Nein, nein, nein, erschallte rundum. Warum eigentlich?
Genau genommen gilt schon seit den 1990er-Jahren ein Mischsystem aus Steuer- und Versicherungsgeld. Als damals das Pflegegeld eingeführt wurde, wurden im Gegenzug die von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Pensionisten geleisteten Krankenversicherungsbeiträge um 0,4 bzw. 0,5 Prozentpunkte erhöht. Nur hat man leider vergessen, das zusätzlich kassierte Geld ausdrücklich der Pflege zu widmen. Nun schlägt Sebastian Kurz vor, auf die von TürkisBlau versprochene weitere Senkung der ausschließlich von den Arbeitgebern geleisteten Unfallversicherungsbeiträge um 0,4 Prozentpunkte zu verzichten und das Geld stattdessen als Pflegeversicherung auszuschildern. Das müsste die SPÖ eigentlich freuen. Die Wirtschaft nicht.
Die 0,4 Prozentpunkte wären etwa 400 Millionen Euro jährlich. Das ist nicht einmal ein Zehntel dessen, was derzeit für die Pflege fließt. Ersetzen könnte diese Pflegeversicherung die Steuerfinanzierung also niemals. Aber das Geld könnte helfen, den steigenden Druck zu mildern. Darüber sollte man auch in Wahlkampfzeiten nüchtern diskutieren können.