Votum gegen Machtarroganz
Die doppelte Niederlage in Istanbul ist ein wohlverdienter Dämpfer für den türkischen Autokraten. Die Wähler haben es Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht verziehen, dass er das Ergebnis der ersten Abstimmung in der Bosporus-Metropole hat annullieren lassen, weil es eine Schlappe für seine Partei bedeutete. Die Wähler haben ein unübersehbares Signal gegen die Arroganz der Macht gesetzt.
Zwar werden sich die Machtverhältnisse im ganzen Land deswegen nicht so schnell und so grundlegend ändern. Doch nach einem eineinhalb Jahrzehnte andauernden Siegeszug sind Erdoğan erstmals Grenzen aufgezeigt worden.
Das lässt die Hoffnung wachsen, dass es in nicht so ferner Zukunft eine Türkei ohne Erdoğans eisernen Griff nach der Macht geben könnte – wenn die Opposition so einig ist wie diesmal in Istanbul; und wenn sie einen zugkräftigen Kandidaten ins Wahlrennen schickt wie jetzt Ekrem İmamoğlu.
Er hat Erdoğans giftiger Propaganda der Polarisierung mit der Parole „Alles wird gut“eine Botschaft des Ausgleichs in einer gespaltenen Bevölkerung entgegengesetzt.
Aber der Slogan „Alles wird gut“gilt noch nicht für die ganze Türkei. Wahlen allein machen aus einem politischen System noch keine Demokratie. Dazu braucht man auch Rechtsstaat, Gewaltenteilung, freie Medien, Minderheitenrechte. Diese Dinge hat Erdoğan schon demontiert. Die tapfere türkische Opposition kämpft dafür, sie ins Land zurückzuholen. Auch deshalb darf Europa sie nicht im Stich lassen.