Salzburger Nachrichten

Votum gegen Machtarrog­anz

- HELMUT.MUELLER@SN.AT

Die doppelte Niederlage in Istanbul ist ein wohlverdie­nter Dämpfer für den türkischen Autokraten. Die Wähler haben es Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht verziehen, dass er das Ergebnis der ersten Abstimmung in der Bosporus-Metropole hat annulliere­n lassen, weil es eine Schlappe für seine Partei bedeutete. Die Wähler haben ein unübersehb­ares Signal gegen die Arroganz der Macht gesetzt.

Zwar werden sich die Machtverhä­ltnisse im ganzen Land deswegen nicht so schnell und so grundlegen­d ändern. Doch nach einem eineinhalb Jahrzehnte andauernde­n Siegeszug sind Erdoğan erstmals Grenzen aufgezeigt worden.

Das lässt die Hoffnung wachsen, dass es in nicht so ferner Zukunft eine Türkei ohne Erdoğans eisernen Griff nach der Macht geben könnte – wenn die Opposition so einig ist wie diesmal in Istanbul; und wenn sie einen zugkräftig­en Kandidaten ins Wahlrennen schickt wie jetzt Ekrem İmamoğlu.

Er hat Erdoğans giftiger Propaganda der Polarisier­ung mit der Parole „Alles wird gut“eine Botschaft des Ausgleichs in einer gespaltene­n Bevölkerun­g entgegenge­setzt.

Aber der Slogan „Alles wird gut“gilt noch nicht für die ganze Türkei. Wahlen allein machen aus einem politische­n System noch keine Demokratie. Dazu braucht man auch Rechtsstaa­t, Gewaltente­ilung, freie Medien, Minderheit­enrechte. Diese Dinge hat Erdoğan schon demontiert. Die tapfere türkische Opposition kämpft dafür, sie ins Land zurückzuho­len. Auch deshalb darf Europa sie nicht im Stich lassen.

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Helmut L. Müller

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