Die Luft für Andrej Babiš wird dünn – doch er will bleiben
Trotz Massenprotesten und Misstrauensvotum gibt es keine Anzeichen, dass der tschechische Premier zurücktritt.
Zynisch klingen die Worte des tschechischen Regierungschefs Andrej Babiš, wenn der zweitreichste Mann des Landes am Montag sagt: „Man hat das Gefühl, dass die Menschen umso unzufriedener sind, je mehr Geld wir ihnen geben.“Am Tag zuvor sind nach neuesten Schätzungen trotz Sommerhitze mehr als 283.000 Menschen auf den Prager Letná-Platz gekommen. Es war die größte Demonstration seit dem Systemwechsel 1989. Die Demonstranten werfen dem Multimilliardär und Premierminister vor, unrechtmäßig von EU-Subventionen profitiert zu haben. Babiš soll EU-Gelder in Millionenhöhe zugunsten seines Agrarkonzerns Agrofert erschwindelt haben. Die Korruptionsvorwürfe standen schon länger im Raum.
Dass der Unmut vieler Tschechen gerade jetzt die Massen mobilisierte, ist laut Kai-Olaf Lang, Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, auf das Zusammentreffen mehrerer Umstände zurückzuführen: So wurde im April dieses Jahres die Spitze des Justizministeriums ausgetauscht. Just zu dem Zeitpunkt, als die Polizei ihre Untersuchungen gegen den tschechischen Regierungschef abgeschlossen hat und der Staatsanwaltschaft empfahl, Ermittlungen gegen Babiš einzuleiten. Die Demonstranten befürchten, dass die neue Ministerin, Marie Benešová, die Interessen von Babiš im Justizsystem durchdrücken würde, wie Lang erläutert. Zuletzt kam der Rechnungsprüfungsbericht der Europäischen Kommission hinzu. Dieser wirft Babiš vor, die EU-Subventionen zu Unrecht erhalten zu haben. „Das hat viele, die unzufrieden mit dem Premier sind, aber bislang zu Hause geblieben sind, mobilisiert“, sagt Politikexperte Lang.
Rückendeckung bekommt Babiš von Präsident Miloš Zeman. Der sagte zuletzt, dass die Menschen zwar ein Recht hätten, zu demonstrieren – aber keinen Grund. Laut Lang eint Babiš und Zeman die Skepsis gegenüber einer organisierten Zivilgesellschaft, wie sie in den Massenprotesten zum Ausdruck kommt: „Zeman repräsentiert ein Tschechien, das eher kritisch auf die Europäische Union und den Westen blickt“, sagt der Politologe. Der Bericht der EU-Kommission ist beim Präsidenten daher nicht besonders willkommen. Am Mittwoch muss sich Babiš einem Misstrauensvotum im Parlament stellen. Dass dies zu seinem Rücktritt führe, sei unwahrscheinlich, sagt Lang. Die von Babiš gegründete „Politische Bewegung ANO 2011“regiert in Tschechien gemeinsam mit den Sozialdemokraten (ČSSD). Diese haben laut Lang wenig Interesse an einer Neuwahl. Bei der Europawahl sackte die ČSSD auf knapp vier Prozent ab. Unterstützt wird der Unternehmer und Multimilliardär Babiš von der Kommunistischen Partei. Politikexperte Lang vermutet, dass die Kommunisten nicht gegen Babiš stimmen, sondern sich der Stimme enthalten werden. „Damit wird sich ein Rücktritt von Babiš rein rechnerisch nicht ausgehen“, sagt Lang.
Auch nach den Massenprotesten scheint Babiš dem Druck standzuhalten. Dass er selbst Konsequenzen zieht und sein Amt niederlegt, gilt als unwahrscheinlich. Babiš ließ verlautbaren, dass er als Regierungschef niemals zurücktreten werde – darüber könnten nur demokratische Wahlen entscheiden. Oder wie Politologe Lang zusammenfasst: „Es gibt nur eine ANORegierung mit Babiš an der Spitze – oder keine ANO-Regierung.“
„Andrej Babiš versucht, die Proteste gegen den Premier auszusitzen.“Kai-Olaf Lang, Osteuropa-Experte