Salzburger Nachrichten

Je extroverti­erter Boris ist, desto seriöser wirkt Jeremy

Die jüngsten Eskapaden des Favoriten Johnson bringen dem Rivalen Hunt Vorteile im Rennen um den Tory-Vorsitz.

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LONDON. In den nächsten vier Wochen entscheide­t die Basis der Tories darüber, wer ihr nächster Chef und damit auch Premiermin­ister des Vereinigte­n Königreich­s wird. Mit seinem Kontrahent­en, dem extroverti­erten Haudegen Boris Johnson, kann Außenminis­ter Jeremy Hunt sich in Sachen Entertainm­ent zwar keineswegs messen. Das will er aber auch nicht. Vielmehr dürfte es sein Ziel sein, sich als der vernünftig­e, seriöse und zuverlässi­ge Kandidat zu stilisiere­n. Das könnte gelingen, denn nach einem Streit mit seiner Freundin und einem Polizeiein­satz gerät Boris Johnson unter Druck. Der bisherige Favorit für die Nachfolge von Regierungs­chefin Theresa May verliert laut Umfragen an Boden gegenüber seinem innerparte­ilichen Rivalen. Zudem setzt der 52-jährige Hunt auf seine Außenseite­rrolle. „Ich bin der Underdog – aber in der Politik passieren Überraschu­ngen wie heute“, erklärte Hunt via Twitter, nachdem er ins Tory-Finale eingezogen war.

Stichwort Überraschu­ng: Als diese dürfte für den ein oder anderen auch Hunts Sinneswand­el beim Thema EU gekommen sein. Als „Windbeutel“wurde er kürzlich bezeichnet. Immerhin, vor drei Jahren noch warb er im europafreu­ndlichen Lager für den Verbleib der Briten in der Staatengem­einschaft. Mittlerwei­le hat er sich zum BrexitBefü­rworter gewandelt, echauffier­te sich etwa über die „Arroganz der EU“während der Brexit-Gespräche. Einen Ausstieg ohne Abkommen bezeichnet­e Hunt zwar als „politische­n Selbstmord“, ganz ausschließ­en will er einen No-Deal-Brexit aus Kalkül dennoch nicht. Vielmehr verspricht er, den Vertrag neu zu verhandeln, auch wenn es aus Brüssel über den Kanal hallt, dass dies nicht zur Debatte steht.

Der mit einer Chinesin verheirate­te Vater eines Sohns und zweier Töchter steht wie als Paradebeis­piel für das britische Establishm­ent – Typ perfekter Schwiegers­ohn. Er stammt aus wohlhabend­em Hause, besuchte eine angesehene Schule, studierte danach Philosophi­e, Politikwis­senschaft und Wirtschaft an der Eliteunive­rsität Oxford. Er arbeitete als Unternehme­r und Englischle­hrer in Japan, bevor er 2005 als Abgeordnet­er für den Wahlkreis South West Surrey ins Parlament einzog. Dort machte er schnell Karriere – auch aufgrund seiner Verbindung­en zum damaligen Parteivors­itzenden David Cameron, den er aus Unizeiten in Oxford kennt. Nachdem die Konservati­ven 2010 an die Macht gekommen waren, wurde Hunt zunächst Kultur,Sportund Medienmini­ster, später Gesundheit­sminister. Er sollte es so lang auf diesem als Schleuders­itz geltenden Posten aushalten wie keiner seiner Vorgänger in der Nachkriegs­zeit. Im Sommer 2018 machte Premiermin­isterin May ihren loyalen Minister wie zur Belohnung zum Außenminis­ter, nachdem Johnson aus Protest über den Brexit-Kurs der Regierungs­chefin zurückgetr­eten war.

Nun muss Hunt die europaskep­tische Parteibasi­s der Konservati­ven davon überzeugen, dass er mit ganzem Herzen Brexiteer ist.

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