Die Wahl Ursula von der Leyens ist eine Zitterpartie
Das Europaparlament kann die Kandidatin für die Kommissionsspitze durchfallen lassen. Viele Abgeordnete haben das vor. Warum eigentlich?
Die Wahl Ursula von der Leyens zur Präsidentin der EU-Kommission ist keine ausgemachte Sache. Die meisten Beobachter rechnen zwar damit, dass es sich ausgeht. Sicher kann die deutsche Verteidigungsministerin aber nicht sein, am Dienstag im EU-Parlament die absolute Mehrheit der Abgeordneten auf ihrer Seite zu haben. Warum diese Zitterpartie? Von der Leyen ist überzeugte Europäerin. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Kommission. Sie will die Hälfte der Kommissarsposten an Frauen vergeben. Sie verspricht Bürgernähe sowie einen energischeren Kampf gegen den Klimawandel.
Das ist ziemlich viel von dem, was Sozialdemokraten, Liberale und Grüne auch im Programm haben. Doch ausgerechnet diese zögern noch mit der vollen Unterstützung (die Liberalen) oder sagen geschlossen (die Grünen) beziehungsweise teilweise (die Sozialdemokraten) Nein.
Die drei Fraktionen begründen ihre reservierte bis negative Haltung gegenüber der designierten Kommissionspräsidentin damit, dass deren Zugeständnisse nicht groß genug und die Absichten nicht klar genug seien. Dabei vergessen sie eines: Von der Leyen kann inhaltlich nur so weit gehen, wie es für die eigene Europäische Volkspartei (EVP) gerade noch akzeptabel ist. Und: Je weniger die Kandidatin auf die Stimmen aus der politischen Mitte des EU-Parlaments zählen kann, desto mehr braucht sie jene aus dem rechten und rechtsnationalen Spektrum. Das macht ihr die klare Abgrenzung zu Orbán & Co. so schwer. Aber genau das erwarten viele von ihr, um sie wählen zu können. Ein Teufelskreis.
Viele Abgeordnete sind berechtigterweise erzürnt darüber, dass der Rat der Staats- und Regierungschefs die Spitzenkandidaten des Parlaments einfach übergangen und eine Frau nominiert hat, die sich nie den europäischen Wählern gestellt hatte. Die Versuchung, dem Rat eine Lektion in Demokratie zu erteilen und dessen Kandidatin durchfallen zu lassen, mag groß sein. Aber es wäre nicht klug, ihr nachzugeben. Denn erstens wäre eine solche Machtdemonstration glaubwürdiger, wenn es dem Parlament seinerseits gelungen wäre, sich auf eine Persönlichkeit für die Kommissionsspitze zu einigen. Und zweitens würde eine Niederlage von der Leyens zu einer Krise zwischen den europäischen Institutionen und einem entsprechenden Ansehensverlust derselben in der Bevölkerung führen. Das kann niemand wollen.