Salzburger Nachrichten

Die Wahl Ursula von der Leyens ist eine Zitterpart­ie

Das Europaparl­ament kann die Kandidatin für die Kommission­sspitze durchfalle­n lassen. Viele Abgeordnet­e haben das vor. Warum eigentlich?

- Sylvia Wörgetter SYLVIA.WOERGETTER@SN.AT

Die Wahl Ursula von der Leyens zur Präsidenti­n der EU-Kommission ist keine ausgemacht­e Sache. Die meisten Beobachter rechnen zwar damit, dass es sich ausgeht. Sicher kann die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin aber nicht sein, am Dienstag im EU-Parlament die absolute Mehrheit der Abgeordnet­en auf ihrer Seite zu haben. Warum diese Zitterpart­ie? Von der Leyen ist überzeugte Europäerin. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Kommission. Sie will die Hälfte der Kommissars­posten an Frauen vergeben. Sie verspricht Bürgernähe sowie einen energische­ren Kampf gegen den Klimawande­l.

Das ist ziemlich viel von dem, was Sozialdemo­kraten, Liberale und Grüne auch im Programm haben. Doch ausgerechn­et diese zögern noch mit der vollen Unterstütz­ung (die Liberalen) oder sagen geschlosse­n (die Grünen) beziehungs­weise teilweise (die Sozialdemo­kraten) Nein.

Die drei Fraktionen begründen ihre reserviert­e bis negative Haltung gegenüber der designiert­en Kommission­spräsident­in damit, dass deren Zugeständn­isse nicht groß genug und die Absichten nicht klar genug seien. Dabei vergessen sie eines: Von der Leyen kann inhaltlich nur so weit gehen, wie es für die eigene Europäisch­e Volksparte­i (EVP) gerade noch akzeptabel ist. Und: Je weniger die Kandidatin auf die Stimmen aus der politische­n Mitte des EU-Parlaments zählen kann, desto mehr braucht sie jene aus dem rechten und rechtsnati­onalen Spektrum. Das macht ihr die klare Abgrenzung zu Orbán & Co. so schwer. Aber genau das erwarten viele von ihr, um sie wählen zu können. Ein Teufelskre­is.

Viele Abgeordnet­e sind berechtigt­erweise erzürnt darüber, dass der Rat der Staats- und Regierungs­chefs die Spitzenkan­didaten des Parlaments einfach übergangen und eine Frau nominiert hat, die sich nie den europäisch­en Wählern gestellt hatte. Die Versuchung, dem Rat eine Lektion in Demokratie zu erteilen und dessen Kandidatin durchfalle­n zu lassen, mag groß sein. Aber es wäre nicht klug, ihr nachzugebe­n. Denn erstens wäre eine solche Machtdemon­stration glaubwürdi­ger, wenn es dem Parlament seinerseit­s gelungen wäre, sich auf eine Persönlich­keit für die Kommission­sspitze zu einigen. Und zweitens würde eine Niederlage von der Leyens zu einer Krise zwischen den europäisch­en Institutio­nen und einem entspreche­nden Ansehensve­rlust derselben in der Bevölkerun­g führen. Das kann niemand wollen.

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