Von der Leyen kämpft um Mehrheit
Am Dienstag fallen die Würfel. Europakritiker und Rechtsnationale haben Unterstützung für die deutsche CDU-Politikerin angekündigt. Liberale und Sozialdemokraten zieren sich.
Vor der Abstimmung über Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin machen ihre Anhänger mit drastischen Argumenten mobil. Dienstag entscheidet das EU-Parlament in Straßburg. Sollte die CDU-Politikerin durchfallen, müssen die EU-Staats- und -Regierungschefs binnen vier Wochen einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin vorschlagen.
CDU-Politiker warnten vor Schaden für Europa, sollte von der Leyen scheitern. Der frühere SPD-Politiker Otto Schily wusch seinen Genossen den Kopf, weil sie „eine hochkompetente, intelligente, welterfahrene Politikerin“ablehnen.
Mit von der Leyen könnte erstmals seit mehr als 60 Jahren wieder jemand aus Deutschland das mächtige Brüsseler Amt erobern, das in etwa einem Regierungschef entspricht. Doch kämpft sie im Europaparlament mit drei Problemen: Sie war keine Spitzenkandidatin zur Europawahl, was viele Abgeordnete aus Prinzip ablehnen; sie hatte als Überraschungskandidatin der EUStaatsund -Regierungschefs nur wenige Tage zur Einarbeitung und äußerte sich in Anhörungen vorige Woche oft nur wenig konkret; und im Parlament gibt es nach der Europawahl Ende Mai keine Koalitionen für klare Mehrheiten. Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley, die die Wahl von der Leyens bisher strikt ablehnt, räumte ein, dass sie sich inhaltlich derzeit nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen könne. „Sie muss irgendwo im Vagen bleiben“, betonte Barley. Die Kandidatin braucht 374 Stimmen von den aktuell 747 Mandatsträgern. Eine Zusage hat sie von ihrer Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei mit 182 Mandaten. Da Grüne und Linke abgesagt haben, braucht sie für eine stabile proeuropäische Mehrheit ein Gutteil der Stimmen der 108 Liberalen und der 153 Sozialdemokraten. Die Spitzen beider Fraktionen knüpfen die Unterstützung an weitreichende Forderungen und wollen erst am Dienstag entscheiden.
Stützen könnten die Kandidatin Stimmen aus der rechtskonservativen Fraktion EKR oder der rechtsextremen „Identität und Demokratie“, der neben der Alternative für Deutschland unter anderen die italienische Lega und die Partei von Frankreichs Marine le Pen angehören. Die 16 SPD-Europaabgeordneten und ihre fünf SPÖ-Kollegen aus Österreich haben sich bereits auf ein Nein festgelegt und machen Stimmung gegen von der Leyen. Die Sozialdemokraten sollten lieber an die Stabilität Europas denken und sich „nicht an engstirnigen parteipolitischen Interessen orientieren“, meinte hingegen der prominente SPD-Mann Otto Schily (86), einst Innenminister.
SPD und SPÖ sind wegen von der Leyens überraschender Nominierung aufgebracht, weil dies dem Wunsch des Großteils des Parlaments widerspricht, nur einen Spitzenkandidaten zur Europawahl zum Kommissionschef zu machen. Hauptgrund des Ärgers ist aber, dass die eigene Parteifamilie nicht zum Zug gekommen ist.