Was gegen die Strafmündigkeit ab zwölf Jahren spricht
Ein Experte und eine Expertin begründen, warum der FPÖ-Wien-Vorschlag die Probleme sogar vergrößern könnte.
Der Vorschlag der Wiener FPÖ, das Alter für Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre herabzusetzen, wird von Experten abgelehnt. Anlass für die Debatte war die Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau durch zwei Zwölfjährige in Deutschland.
„Gefängnisse sind keine Orte, an denen Kinder verwahrt werden dürfen“, meint Alfred Kohlberger, Geschäftsführer des Vereins Neustart, der sich vor allem mit Bewährungshilfe und der Resozialisierung beschäftigt. Für 95 Prozent der jugendlichen Straftäter sei Kriminalität ein episodenhaftes Phänomen, das kaum Fortsetzung finde, sagt Kohlberger. Sie ins Gefängnis zu sperren würde zu ihrer „dissozialen Entwicklung“beitragen und damit die Situation nur verschlimmern. Dass die Zahl der zehn- bis 14-jährigen Straftäter steige, stimme so nicht, sagt Kohlberger. Zwar habe es von 2017 auf 2018 einen Anstieg auf 6241 Tatverdächtige (plus sechs Prozent) gegeben, doch sei die Zahl 2014 mit 6311 schon höher gelegen. Es lasse sich also nicht sagen, dass Jugendliche heute krimineller seien als noch vor wenigen Jahren. Weiters betont er, dass der Anteil an schweren Delikten bei dieser Altersgruppe bei nur vier Prozent liege. Bei den meisten Straftaten handle es sich um Sachbeschädigung oder Ladendiebstahl.
Auch Christa Edwards, Richterin am OLG Wien und Leiterin der Fachgruppe Jugendstrafrecht, widerspricht dem FPÖ-Vorschlag klar. „Die Aufregung wegen des Falls in Deutschland ist vollkommen verständlich“, sagt Edwards, „aber Empörung ist kein guter Ratgeber.“Im europäischen Vergleich liege Österreich beim Strafmündigkeitsalter im guten Durchschnitt und es gebe keine fachlichen Argumente für eine Herabsetzung. Weder ließe sich ein abschreckender Effekt erzielen, noch würde durch Haft das Problem gelöst.
„Bei der Erziehung von straffälligen Jugendlichen ist etwas ordentlich schiefgegangen“, sagt Edwards, „aber in diesem Alter gibt es noch die Chance, sie in die richtige Bahn zu lenken.“Das österreichische Recht biete viele Maßnahmen, um weitere kriminelle Karrieren zu verhindern. Diese reichen von Erziehungshilfe bis zur Abnahme der Obsorge durch das Jugendamt in letzter Konsequenz.
Sinnvoll wären für Edwards mehr Kompetenzen für die Jugendämter, damit sie gegenüber den Familien von Straffälligen mit größerer Autorität auftreten könnten. Das Recht sollte hier eine erzieherische Funktion einnehmen, etwa durch Antiaggressionstraining und therapeutische Maßnahmen. „Im Gefängnis werden Jugendliche diese Defizite nicht nachholen. Anstatt Geld in teure Haftplätze zu stecken, sollten wir lieber die Jugendämter mehr unterstützen.“