Erdo˘gan zündelt in Zypern
Unter dem Schutz der Kriegsmarine suchen türkische Schiffe vor der Küste der Mittelmeerinsel nach Gas. Der neue griechische Premier steht vor einer schwierigen Lage.
Es hat Tradition: Jeder neu gewählte griechische Premierminister reist als Erstes auf die geteilte Insel Zypern. So machte am Montag auch Kyriakos Mitsotakis. Aber vor dem Hintergrund des Konflikts um Hoheitszonen und Bodenschätze im östlichen Mittelmeer ist sein Besuch alles andere als Routine.
Während Mitsotakis in Larnaka landete, suchten drei türkische Bohr- und Forschungsschiffe vor den Küsten der Insel nach Erdgas – in Seegebieten, die der EU-Staat Zypern unter Berufung auf die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen als eigene Wirtschaftszone ausgewiesen hat. Gerd Höhler berichtet für die SN aus Griechenland
Die Türkei und deren Staatschef Recep Tayyip Erdoğan erkennen aber die UNO-Konvention nicht an. Energieminister Fatih Dönmez kündigte bereits die Entsendung eines vierten Schiffs an. Begleitet werden die Bohrschiffe von Fregatten und U-Booten der türkischen Kriegsmarine.
Die Europäische Union hält das türkische Vorgehen für völkerrechtswidrig und reagierte mit Sanktionen: EU-Gelder für Ankara werden gekürzt und die Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen eingestellt. Die türkische Regierung gibt sich unbeeindruckt. Die Türkei werde ihre Gas-Explorationen fortsetzen, erklärt das Außenministerium in Ankara.
Zypern, bewohnt zu 80 Prozent von ethnischen Griechen und zu 18 Prozent von ethnischen Türken, ist geteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Nordteil besetzte. Mit der Invasion verhinderte Ankara die sogenannte Enosis, den Anschluss Zyperns an Griechenland und die befürchtete Vertreibung der türkischen Volksgruppe. Jetzt begründet die Türkei ihre Gas-Explorationen mit den Rechten der türkischen Zyprer, die an den Bodenschätzen beteiligt werden müssten. Aber die Türkei erhebt auch eigene Ansprüche auf große Teile der zyprischen Wirtschaftszone.
Der schwelende Konflikt wird im Mittelpunkt der Gespräche stehen, die Mitsotakis mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiadis und anderen Spitzenpolitikern auf der Insel führt. Die Entwicklung im östlichen Mittelmeer steht für Mitsotakis und den ihn begleitenden Außenminister Nikos Dendias im Fokus ihrer Außenpolitik. Die Athener Regierung schätzt die Solidarität der EU in dieser Kontroverse. Sie weiß aber auch, dass die eher symbolischen Sanktionen letztlich nichts bewirken werden.
Der EU sind die Hände gebunden. Dass sie zu härteren Maßnahmen greift, ist unwahrscheinlich. Dazu ist die Türkei in der Flüchtlingspolitik ein zu wichtiger Partner. Auch Griechenland hat kein Interesse daran, den Streit eskalieren zu lassen. Wenn Erdoğan die Flüchtlingsvereinbarung mit der EU aufkündigt, könnte in Griechenland eine Neuauflage des Chaos vom Sommer 2015 drohen. Damals kamen pro Tag Tausende Schutzsuchende aus der Türkei zu den griechischen Inseln.
Beobachter in Ankara vermuten, dass die Türkei im östlichen Mittelmeer deshalb jetzt so aggressiv auftritt, weil sie die Kontroverse um die Wirtschaftszonen in die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung Zyperns einbringen will. Damit würde die lange Liste der strittigen Themen um eine weitere harte Nuss erweitert. Die Verhandlungen wurden im Sommer 2017 ergebnislos abgebrochen. Am 9. August will Zyperns Präsident Anastasiadis bei einem Treffen mit dem türkischen Volksgruppenführer Mustafa Akinci sondieren, ob es Chancen für einen neuen Anlauf gibt.